Krieger der Stille
Volk …«
»Wenn ich richtig verstehe«, murmelte Aphykit, »geschah das alles seinetwegen …«
»Anfangs nicht!«, unterbrach der Junge sie. »Als du mich um Hilfe gebeten hast, hatte ich ursprünglich vor, dich und die Person, die du retten wolltest, direkt zu dem höchstbietenden Händler zu bringen. Denn normalerweise enden Flüchtlinge in Matana auf dem Sklavenmarkt. Dort werden sie versteigert. Aber als ich sah, dass dein Schützling ein Prouge ist, habe ich ganz Matana mobilisiert, damit ihr gerettet werden konntet. Und du, Godappi-Dame, was machst du als Bettler verkleidet auf Roter-Punkt?«
»Es gibt da gewisse Gründe, doch es würde zu lange dauern, das zu erklären …«
Inzwischen hatte die Alte Maranas einen Verband angelegt.
Das Haus war spartanisch eingerichtet: ein niedriger Holztisch, ein Wollteppich mit geometrischen Mustern – auf dem Maranas jetzt lag –, ein paar Stoffkissen und eine altmodische Luftbank. Doch in dem Raum herrschten angenehmes Dämmerlicht und eine erträgliche Temperatur.
Die vage Antwort der Syracuserin machte den Jungen noch neugieriger, und er fragte: »Wie hast du erfahren, dass die Pritiv-Mörder einen der unseren töten wollten?«
»Man muss nicht unbedingt neben jemandem stehen, um zu hören, was er sagt«, antwortete Aphykit langsam. Und weil sie das Thema wechseln wollte, fügte sie hinzu: »Wie heißen Sie?«
»Kirah. Aber ich habe den Spitznamen ›der Schlaue‹. Leute mit schlechtem Gewissen, die gewisse Verfehlungen
begangen haben, wenden sich oft an mich. Ich stehe in dem Ruf, sie in Sicherheit bringen zu können.«
»Und dann liefern Sie diese Leute direkt den Menschenhändlern aus!«
»Ich muss schließlich leben!«, entgegnete der Junge achselzuckend. »Vor allem auf Roter-Punkt ist das eine Kunst. Zwischen all den verschiedenen Interessen der konföderalen Polizei, der Françao-Camorre, den Profikillern, den Bürgern und Adeligen mit ihren Privatarmeen … Hier geschieht nichts unabsichtlich. Wenn du eines Tages deine Welt wiedersehen willst, Godappi-Dame, musst du schlauer als alle anderen sein.«
»Ich danke den Göttern, Sie als Lehrer zu haben, Kirah der Schlaue!«, ahmte Aphykit die hochtrabende Ausdrucksweise des Jungen nach. »Das Glück ist mit mir.«
Kirah blieb jedoch ernst. Er deutete mit einer Kinnbewegung auf Maranas und sagte: »Du bist noch in Freiheit oder am Leben, weil dieser junge Mann ein Prouge ist. Auch wenn dieser Prouge zu … zu … enge Beziehungen zu diesem alten Godappi im Haus mit dem Garten voller Wasser unterhielt. Das war dein einziges Glück!«
Dann sagte er ein paar Worte auf Prougisch zu der Alten, und die beiden hoben Maranas so vorsichtig wie möglich hoch und legten ihn auf die Luftbank.
Aphykit litt unter ständiger Übelkeit. Sie wusste nicht, ob dieses Gefühl von dem Gestank ihrer Kleider herrührte oder von dem Geruch des Blutes an ihren Händen, den Ausdünstungen Inoniis, dem strengen pfefferartigen Geruch der Haare der Prougen – oder auch von der Erinnerung an jene aggressiven Vagabunden, die sie nach ihrer Rematerialisation in der Ruine angegriffen hatten.
Nackt, am ganzen Körper zitternd, mit einer schrecklichen
Migräne und von der Deremat-Reise noch völlig desorientiert, war sie inmitten eines Grundstücks umgeben von Trümmern aufgewacht, und schon hatten sich diese zerlumpte Gestalten mit ihren ekelhaften Visagen auf sie gestürzt. Die Angst hatte ihr ungeahnte Energie gegeben, und sie war aufgesprungen und geflohen. Sie war über halb verfallene Treppen gestolpert, hatte sich die Füße an Holzsplittern und rostigen Nägeln aufgerissen und hatte das vulgäre Grölen und Fluchen ihrer Verfolger gehört. Schließlich hatte sie in eine Kammer fliehen können, deren Tür durch einen Haufen Bauschutt verdeckt war, und sich ausruhen können. Die Ruhe hatte sie bitter nötig gehabt, denn nach der ermüdenden Zellen-Transfer-Reise und der dramatischen Flucht war sie völlig erschöpft gewesen.
Nach und nach hatte sich Aphykit körperlich und geistig erholt. In die Ruine war wieder Ruhe eingekehrt. Vorsichtig hatte sie ihr Versteck verlassen und schließlich ein paar Lumpen in einem kaputten Mülleimer entdeckt. Hastig hatte sie diese widerlich stinkenden Fetzen übergestreift und dabei gegen einen heftigen Brechreiz ankämpfen müssen.
Der Verlust ihres Colancors – ihrer zweiten Haut – war am schlimmsten, denn ohne ihn hatte sie das beängstigende Gefühl, verletzbar zu sein.
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