Krieger der Stille
Sterbenden zu treten.
Als sich die Syracuserin über Maranas beugte, fand der Junge die Kraft, ihr sein Gesicht zuzuwenden. Er flüsterte mit blutleeren Lippen: »Dop … Doppel-Haut … hat mir gesagt … du suchst den dritten … Meister … den Mahdi Seqoram … Er … ist nicht …«
Seine Züge erschlafften, sein Blick brach, und sein Kopf fiel schwer auf das Kissen zurück. Ein letztes Zucken durchlief seinen Körper, dann ergriff der Tod von ihm Besitz.
Die fette Frau heulte auf, lief zu der Bank und warf sich über den leblosen Körper ihres Sohnes.
Kirah ergriff Aphykits Arm und zog sie beiseite.
»Du darfst hier nicht länger bleiben, Godappi-Dame«, sagte er leise. »Panapii wird dir allein die Schuld am Tod ihres Sohns geben.«
»Warum? Was habe ich …«
»Ich weiß. Du hast sogar versucht, ihn zu retten. Aber du vergisst, dass du in Matana eine Godappi bist. Und Panapii ist der Meinung, dass die Godappis ihren Sohn getötet haben. Und wie es bei uns Brauch ist, verlangt sie nach Rache. Das heißt, sie will Blutrache üben, denn du bist eine Godappi – und von jetzt an in Lebensgefahr. Kein einziger Prouge wird dir noch helfen. Selbst ich nicht, schöne Godappi-Dame! Denn ich muss mich dem Schmerz einer Mutter über den Tod ihres Sohns beugen. So will es unser
Gesetz. Und dieses Gesetz muss ich respektieren, wenn ich überleben will.«
»Damit Maranas nicht umsonst gestorben ist, muss ich so schnell wie möglich Roter-Punkt verlassen«, entgegnete Aphykit. Der Meinungsumschwung des kleinen Prougen traf sie völlig unvorbereitet. »Und das schaffe ich nicht allein. Wollen Sie mir noch einmal helfen, Professor Kirah?«
Sie hatte versucht, möglichst viel Überzeugungskraft in ihre Stimme zu legen, obwohl sie wusste, dass sie den Entschluss eines Jungen, der seiner Tradition verpflichtet war, nicht ändern konnte.
»Deine einzige Chance besteht darin, schnell zu handeln«, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. »Und zwar bevor die Prougen wissen, dass sich in ihrer Stadt eine schöne Godappi-Dame aufhält. Denn sonst töten sie dich, wie das Gebot der Blutrache es ihnen befiehlt. Außerdem gibt es da noch die Menschenhändler, für die eine Frau aus den Welten des Zentrums ein seltener und unverhoffter Schatz ist, der ihnen eine Menge Geld einbringt. Misstraue jeder und jedem! Und jetzt geh! Ich kann nichts mehr für dich tun.«
»Zeigen Sie mir bitte einen Weg aus diesem Labyrinth.«
»Wenn du wirklich fähig bist, die Gespräche der Menschen zu belauschen, ohne dich ihnen zu nähern, wie du vorhin behauptet hast, solltest du auch fähig sein, ganz allein einen Weg aus Matana zu finden. Glaube an dein Glück, und bitte deine Götter um Hilfe, solltest du welche haben … Geh jetzt, ehe mich Panapii bittet, ihren Sohn zu rächen, was ich ihr nicht abschlagen könnte. Umso weniger, weil sie reich ist und mich sicher großzügig belohnen
würde. Eins will ich dir noch sagen: Sollte es dir gelingen zu überleben, geh in die verbotenen Viertel und versuche, mit einem Mitglied der Françao-Camorre Kontakt aufzunehmen. Es gibt Leute unter ihnen, die Transfermaschinen besitzen. Versuch dein Glück. Deine Schönheit macht vieles möglich … Adieu!«
Kirahs Ton war schneidend geworden. Er öffnete die niedrige Haustür zur Gasse hin, die jetzt in grünlich fahles Licht getaucht war. Die smaragdfarbene Scheibe des Gestirns Grünes Feuer beherrschte nun allein den Himmel.
Eine bunt gemischte, lärmende Menge bevölkerte die Straßen. Aphykit trat aus Inoniis Haus und mischte sich unter den Strom der Rotschöpfe. Sie hatte das Gefühl, in einem Meer aus Feindseligkeit zu versinken.
Nach ein paar Schritten drehte sie sich noch einmal nach Kirah um und rief: »Ich danke Ihnen für alles, Kirah der Schlaue! Mögen Ihre Götter Sie beschützen!«
Der kleine Prouge folgte ihr mit den Augen, bis sie in der Menge untergetaucht war. Dann schloss er die Tür, und lief schnell wie ein Blitz durch das Zimmer, wo die fette Panapii voller Verzweiflung ihren Sohn beweinte, auf den Innenhof und über die Treppe aufs Dach.
Dort beugte er sich über die Brüstung, steckte seine Zeigefinger in den Mund und pfiff, um seine Bande herbeizurufen. Die schöne Godappi war eine zu große Beute für seine kleinen Soldaten, aber er wollte sich nicht das Geld entgehen lassen, das sie ihm einbringen konnte.
Wenn er als Erster den Händler Glaktus informierte – und seine Chancen standen nicht schlecht –,
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