Kriegsgebiete
Zumindest, wenn man sich am Routenplaner
orientiert. Oder am Navigationsgerät. Und schnellste
Verbindung als Suchoption eingibt.«
»Scheiße,
soll das heißen, ich bin verdächtig, weil ich in Hof
wohne?«
»Ja,
damit rechnet man nicht. Hast du die anderen Opfer gekannt?«
»Natürlich
nicht. Ich war in meinem Leben noch nicht in Ingolstadt.«
»Aber
auf der Wartburg.«
»Ich
war noch nie in Ingolstadt.«
»Noch
nie einen Audi vom Werk abgeholt?«
»Selbst
als ich das Geld dafür hatte, mochte ich keine Audis.«
Maik
rieb mit der Handfläche über seine Bartstoppeln, die
daraufhin mürrisch vor sich hin knisterten.
»Hmm«,
brummte er nachdenklich.
»Ich
bin ein Verdächtiger, weil ich von zwei Tatorten gleich weit
entfernt bin«, sagte Daniel mit ungläubigem Kopfschütteln.
»Und
beim dritten Mord bist du verdammt nah dran.«
»Das
könnte alles auch Zufall sein. Vielleicht ist der Mörder
irgendein Außendienstler, der regelmäßig die Strecke
fährt.«
»Du
hättest die letzte Leiche nicht finden dürfen. Nur so kommt
man auf die Idee mit der Autobahn. Und darauf, dass wir auf halber
Strecke liegen. Die neue Tote ist das fehlende Glied. Die
Verkäuferin.«
»Kirsten
Fritsch.«
»Was?«
»Kirsten
Fritsch. Das war ihr Name.«
Wieder
machten sich Verschwörungstheorien in Daniel breit. Er hatte
lernen müssen, die Verschwörungstheorien als Teil seiner
psychischen Erkrankung zu akzeptieren, aber was, wenn sie tatsächlich
plötzlich Realität wurden? Gab es jemanden, der bereit und
in der Lage war, ihn als Serienkiller hinzustellen? Nur weil er
gleich weit entfernt von einem Mordopfer in Eisenach und in
Ingolstadt lebte? Der Kerl musste es jedenfalls logistisch ziemlich
draufhaben. Oder die Frau.
»Und
was kann ich tun?«, fragte Daniel seinen Freund.
»Vielleicht
solltest du mit der Polizei darüber reden, was uns gerade
aufgefallen ist.«
»Die
wissen das längst. Die haben mir die Fotos gezeigt.«
»Vielleicht
solltest du deine eigenen Ermittlungen starten.«
»Nach
Ingolstadt fahren?«
»Zum
Beispiel.«
»Oder
nach Eisenach?«
»Ja.
Oder erst mal alles vor Ort über diese Kassiererin in Erfahrung
bringen.«
»Kirsten
Fritsch. Ich finde, auch Tote haben ein Recht auf ihren Namen.«
»Wenn
die Toten einen Namen haben, kannst du auch noch mehr über sie
herausfinden.«
»Das
ist doch eine Scheißidee. Eigene Ermittlungen. Hört sich
nach Hollywood an.«
»Hollywood
ist gar nicht so schlecht. Von den ganzen Filmen und Serien wissen
wir doch, wie’s geht.«
»Das
ist Hof, nicht L.A.! Wie wirkt denn das, wenn ein Therapiepatient,
ein amtlich bekannter Psycho, auf eigene Faust ermittelt? Was würde
die Polizei denken, wenn ich mich plötzlich in Eisenach
rumtreibe? Oder in Ingolstadt?«
»Was
hast du für Alternativen? Im Garten auf der Ledercouch sitzen
und einen defekten Flachbildschirm anstarren, bis dir die Polizei
einen Mehrfachmord anhängt?«
Daniel
fuhr sich durchs Haar.
»Ich
hab nicht einmal ein Auto.«
»Für
die Kassiererin … für Kirsten brauchst du kein Auto.«
»Und
was ist mit Eisenach? Mit Ingolstadt?«
»Wir
können mein Auto nehmen.«
»Ich
dachte, das gehört deinen Eltern.«
»Bisher
haben sie es mir immer geliehen. Seit mein Vater den Schlaganfall
hatte, steht es die meiste Zeit in der Garage. Meine Mutter ist keine
besonders gute Autofahrerin. Sie traut sich nicht, das Auto in die
Garage rein oder wieder raus zu fahren.«
»Du
bist also dabei?«
»Ich
lass doch einen Freund nicht bei einer Mordermittlung im Stich. Wo
fahren wir zuerst hin?«
Daniel
verglich die Fotos der rothaarigen Frau mit denen der blonden. Und
er dachte an das von dunklen Haaren umwehte Gesicht unter Wasser.
Regungslos. Ohne Lächeln. Obwohl es sonst immer zu einem Lächeln
bereit war. Mit oder ohne Leergutbons. Daniel rieb sich über die
Augen. Er merkte, wie müde er war. Vielleicht sollte er zur
Abwechslung mal wieder in einem richtigen Bett schlafen. Er hatte
jegliches Zeitgefühl verloren. Die Uhr des Computers zeigte 13
Uhr 45 an.
»Verdammt,
ich muss los.«
»Was
gibt’s denn Wichtigeres, als seinen Hals zu retten?«,
fragte Maik.
»Um
16 Uhr ist das betreute Treffen mit meiner Tochter.«
»Kannst
du das nicht absagen?«
»Wenn
man es absagt, schaut es so aus, als hätte man kein Interesse.
Oder als wäre man seinem Kind nicht gewachsen. Seiner
Verantwortung. Egal was: Kommt alles beim Familiengericht nicht gut
an.«
Daniel
zog sich die Schirmmütze in die Stirn.
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