Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
Vom Netzwerk:
Er riss die Wohnungstür
auf und rannte nach draußen. Er konnte hören, wie die Tür
gegen die Wand knallte. Auf der Straße setzte er die
Sonnenbrille auf und startete durch. Seine Muskeln waren bereit. Es
gefiel ihm, seinen Atem zu hören. Daniel konnte sich bis in die
kleinsten Lungenbläschen und Kapillaren hineindenken. Sein
schneller Puls beruhigte ihn. Und er mochte den Schweißfilm,
der sein Gesicht und den restlichen Körper überzog, als
würde sich ein nanotechnologischer Schutzfilm auf ihm bilden.
Vor allem das Gesicht war wichtig. Irgendwann nannte man es auch
Antlitz. Antlitz war ein schönes Wort. Jeden Tag musste er daran
denken, wie er mit seinen Stiefeln über das weggesprengte
Gesicht des Gefreiten Kunz gestiegen war. Schutz war wichtig. Die
eigene Visage behalten. Der Schweiß schmeckte immer ein
bisschen anders. Wenn er in die Augen lief, musste man weinen.
    Als
Daniel in seine Straße einbog, sah er Melanies blauen
Kleinwagen vor dem Haus stehen. Vor ihrem gemeinsamen Haus mit ihrer
gemeinsamen Geschichte. Jedenfalls bis die Scheidung durch war. Die
Geschichte würden sie dann trotzdem weiter teilen. Gemeinsame
Erlebnisse wurde man einfach nicht mehr los. Einen Moment lang verlor
Daniel seinen Laufrhythmus, fand ihn wieder und startete noch mal
durch. Die Fahrertür des Autos öffnete sich. Melanie hatte
frisch gefärbte Haare. Ein dunkleres Rot. Die schwarze
Sonnenbrille machte sie unnahbar, also auf eine unterkühlte Art
besonders sexy. Vor allem, wenn man genau wusste, dass sie nicht
unnahbar war. Bei Melanie angekommen, hätte Daniel sie beinahe
umarmt, aber im letzten Moment verkniff er es sich. Stattdessen
atmete er einfach durch. Daniel konnte die einzelnen Schweißtropfen
spüren, die seinen Rücken hinunterliefen.
    »Was
denkst du dir eigentlich?«, fragte Melanie.
    Dabei
stemmte sie die Fäuste in ihre Taille. Übertrieben. Sie
hätte es nicht nötig gehabt, mit einer solchen Geste ihren
wütenden Tonfall zu unterstreichen.
    »Hi«,
antwortete Daniel.
    »Versuch
nicht, gute Stimmung zu machen.«
    »Ich
hab keine Ahnung, worum es geht.«
    »Nein?
Heute schon mal ins Internet geschaut?«
    »Du
hast den PC mitgenommen.«
    »Oder
den Fernseher angedreht?«
    Der
Fernseher steht im Garten, dachte Daniel. Ohne Strom. Gott sei Dank
ohne Strom, sonst hätte es schon längst einen Kurzschluss
gegeben. Daniel konnte sich Melanies wütende Augen hinter der
Sonnenbrille nur allzu gut vorstellen. Sie holte ihr Handy aus der
Hosentasche. Dabei musste sie die Finger ganz spitz machen. Die Jeans
war verdammt eng. Sie drückte routiniert ein paar Tasten auf dem
Mobiltelefon, vielleicht hatte sie wartend im Auto genau für
diesen Moment geübt. Sie streckte ihm das Handy entgegen. Auf
dem Display lief ein Video. Daniel warf gerade eine Grünpflanze
durch die Terrassentür.
    »Tut
mir leid wegen der Scheibe«, sagte Daniel.
    »Was
Besseres fällt dir nicht ein?«
    »Ist
ja immerhin auch noch dein Haus.«
    »Die
Scheibe interessiert mich einen Dreck. Weißt du, wie du in den
Fernsehberichten wirkst?«
    »Ich
kann’s mir denken.«
    »Du
schaust aus wie ein Irrer.«
    » Labil trifft es besser. Ich hab eine Tote gefunden.«
    »Das
habe ich schon mitbekommen. Weißt du nicht mehr, wie man ein
Telefon bedient? Findest du nicht, dass wir Anspruch auf ein paar
Informationen haben, bevor sie im Fernsehen laufen? Lea ist morgen
das Gesprächsthema Nummer eins in ihrer Schule, wenn sich
rumgesprochen hat, dass ein psychisch kranker Afghanistan-Veteran
eine Frauenleiche im Fischweiher gefunden hat.«
    »Tut
mir leid.«
    »Hör
endlich auf, dich zu entschuldigen.«
    »Weiß
es Lea noch nicht?«
    »Du
wirst es ihr selbst sagen. Immerhin triffst du dich in eineinhalb
Stunden mit ihr.«
    »Okay.«
    »Versprich
mir, dass du es ihr sagst.«
    »Ich
verspreche es.«
    »Das
hat mit Pädagogik zu tun. Mit Verantwortung und so.«
    »Ich
weiß schon, was Verantwortung ist.«
    Melanie
nickte. Daniel stellte sich vor, wie ihre Pupillen hinter der
Sonnenbrille Flammen sprühten.
    »Gut.«
    Melanie
stieg ins Auto, sprang aber sofort wieder heraus.
    »Können
wir nicht einfach wie erwachsene Menschen miteinander umgehen?«,
fragte sie.
    »Können
wir«, antwortete Daniel.
    Melanie
schien zu zögern. Einen langen Moment passierte nichts. Daniel
konnte sich ihre Augen hinter der Sonnenbrille nicht mehr vorstellen.
    »Ruf
einfach an, wenn irgendwas ist.«
    »Was
soll denn sein?«
    »Keine
Ahnung.«
    »Du
meinst, wenn ich wieder eine

Weitere Kostenlose Bücher