Kriegsgebiete
Tote finde?«
»Zum
Beispiel.«
Der
Tod klebt an mir, dachte Daniel.
»Rainer
bringt Melanie zur Beratungsstelle. Er holt sie dann auch wieder ab.«
»Gut«,
sagte Daniel, obwohl er es nicht wirklich gut fand. Er konnte Rainer
einfach nicht akzeptieren. Mit Doktor Hamann hatte er bereits darüber
gesprochen. Dabei hatte er gecheckt, dass es vollkommen normal war,
dass man den neuen Lover seiner Frau nicht leiden konnte. Schlimm
genug, dass ich für alle Gefühle eine Rückmeldung
brauche, dachte Daniel. Ob sie normal sind oder nicht. Doktor Hamann
behauptete, es gäbe keine unnormalen Gefühle, aber manche
davon waren trotzdem scheiße.
Melanie
stieg grußlos ins Auto und startete den Motor.
Daniel
spurtete los und klopfte auf die Windschutzscheibe. Die Scheibe der
Fahrertür fuhr mit einem Surren nach unten.
»Was?«,
fragte sie ohne erkennbare Regung.
»Wann
holt ihr Bonaparte?«
»Rainer
ist allergisch gegen Felltiere.«
»Dann
müsst ihr eine Lösung finden. Es ist Leas Kaninchen.«
»Sie
kann ihn nicht leiden.«
»Es
ist ihr Haustier.«
»Ja.
Kommt noch was?«
»Man
schiebt ein Tier nicht einfach so ab. Das muss sie lernen.«
»Ihr
trefft euch ja gleich in der Beratungsstelle. Red mit ihr.«
»Ich
rede mit dir.«
»Dass
das nicht funktioniert, wissen wir schon länger.«
Noch
während der elektrische Fensterheber die Scheibe wieder nach
oben schob, fuhr Melanie mit quietschenden Reifen los. Zu ihrem neuen
Liebhaber. Rainer verdiente gutes Geld mit Windparks in ganz Europa.
Da konnte ein traumatisierter Invalide natürlich nicht
mithalten.
Daniel
ging unter die Dusche. Kalt. Mit warmem Wasser wurde der Schutzfilm
weggespült. Mit kaltem Wasser wurde er gehärtet. Die
kleinen Nanoteilchen rückten enger zusammen.
***
Die
Erziehungsberatungsstelle lag malerisch in einem kleinen Park mit
alten Buchenbeständen. Das blendend weiße Gebäude
sollte schon von Weitem Optimismus ausstrahlen. Die Lage und die
moderne, offene Architektur gaukelten vor, dass es sich bei Erziehung
um etwas Unbeschwertes, Verspieltes, Lebensfrohes handeln musste.
Erzähl das mal einem Vater, der mit seiner elfjährigen
Tochter nur noch betreuten Umgang haben darf, dachte Daniel, während
er die Stufen zur Eingangstür nach oben rannte. Daniel hatte den
schwarzen Bonzenschlitten auf dem Parkplatz sofort erkannt. Er hatte
es wieder nicht geschafft, vor Rainer in der Beratungsstelle zu sein.
Das Auto stand schräg auf der Fläche zweier Parkbuchten,
als wäre es gerade dabei, die Alleinherrschaft über den
gesamten Parkplatz zu erringen. Rainer und Lea saßen bereits im
Wartezimmer. Lea stand sofort auf, als sie ihren Vater sah. Während
sie auf ihn zuging, hatte sie noch einen ernsten Gesichtsausdruck,
aber als sie ihm die Hand schüttelte, lächelte sie. Wenn
sie es nicht aus Überzeugung tat, dann doch aus der Erkenntnis
heraus, dass es sich bei der Begrüßung ihres Erzeugers
gehörte zu lächeln. Vielleicht sind die betreuten Treffen
doch nicht so schlecht, dachte Daniel. Sie muss mich ja nicht gleich
umarmen. Nach allem, was vorgefallen war. Die vielen nächtlichen
Streitereien. Als Daniel herausbekommen hatte, dass es einen neuen
Mann in Melanies Leben gab, war er komplett ausgerastet und hatte die
ersten Möbelstücke zu Kleinholz verarbeitet.
»Ich
bin mir nicht mal sicher, ob Lea überhaupt meine Tochter ist!«,
hatte Daniel seine Frau angeschrien.
Die
Haare viel zu blond. Und ein Kinn, das nicht vererbt aussah.
Bösartige Einflüsterungen, die sich im Kopf ausbreiten,
wenn man Angst hat. Oder wütend ist. Oder beides zugleich. Jetzt
schämte er sich dafür. Zu gut konnte er sich vorstellen,
wie Lea weinend im Bett lag, während er herumbrüllte. Die
ganze militärische Selbstbeherrschung, die ihm antrainiert
worden war, half nichts im zivilen Leben.
Mittlerweile
war auch Rainer aufgestanden. Er legte eine Ausgabe der Psychologie
Heute mit dem Titel-Thema »Freundschaft – Warum Nähe
und Vertrautheit so wichtig sind« zurück auf den Stapel
Zeitschriften, die für die Wartenden auslagen. Rainer streckte
ihm lächelnd seine Hand entgegen. Daniel nahm sie. Wortlos.
Beide drückten kräftig zu. Der wird nicht mehr mein Freund,
dachte Daniel. Nicht mal unverständlich, dass sich eine Frau
einen anderen Kerl sucht, wenn die Psyche ihres Ehemanns durchlöchert
ist wie nach einem Flächenbombardement. Vielleicht wäre es
leichter gewesen, wenn der Nebenbuhler gute Argumente gehabt hätte.
Zum Beispiel, wenn er
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