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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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alle anderen Termine. Verabredungen waren böse.
Er kam einen Tag zu früh oder einen Tag zu spät oder
überhaupt nicht, weil sein Gedächtnis löchriger war
als die Jeans, die er mit fünfzehn am liebsten getragen hatte –
und an die er sich aus unerfindlichen Gründen noch verdammt gut
erinnern konnte. »Das menschliche Gehirn hat eine beschissene
Aufnahmequalität«, hatte Maik einmal zu ihm gesagt und
wahrscheinlich hatte er recht. Unabhängig von seiner
Vergesslichkeit misstraute Daniel Verabredungen auch aus
Sicherheitsgründen. Vor ein paar Wochen hatte Miriam, eine
Klassenkameradin aus seiner Grundschulzeit, bei ihm angerufen. Ihr
Kontakt in den letzten Lebensjahrzehnten beschränkte sich auf
flüchtige Begegnungen im Freibad, zuerst ohne, dann mit Kindern.
Entsprechend überrascht war Daniel, als sie sich am Telefon
meldete. Am Ende des Gesprächs waren sie für den folgenden
Tag in einem Drive-In am Stadtrand verabredet. Es gab eine einfache
Erklärung für Miriams Anruf: Sie hatte gehört, dass
sich Daniel und Melanie getrennt hatten und nun wollte sie, selbst
frisch geschieden, die Gunst der Stunde nutzen. Wahrscheinlich datete
sie alle geschiedenen, verwitweten und getrennt lebenden Männer,
die nicht bei drei auf den Bäumen waren. Allerdings gab es auch
eine Erklärung, die noch bedrohlicher war: Daniel sollte von
Miriam in einen Hinterhalt gelockt werden. Er hatte nur aus Notwehr
geschossen, aber die Taliban interessiert es nicht, ob ein Christ nur
aus Notwehr schießt. Was, wenn Miriam der willenlose Lockvogel
einer al-Qaida-Zelle war? Nachdem Daniel lang genug darüber
nachgedacht hatte, war er sich sicher, dass er entführt werden
sollte. Auf Videos im Internet konnte man sich ansehen, was die
Islamisten mit ihren Gefangenen machten: Sie schlachteten sie ab.
Tieren will man so was lieber ersparen.
    Obwohl
er erst um drei Uhr nachmittags mit Miriam verabredet gewesen war,
hatte Daniel bereits ab dem späten Vormittag den Drive-In vom
Parkplatz einer angrenzenden Autovermietung aus beobachtet. Im Lauf
der Zeit waren einige verdächtige Autos gekommen. In der letzten
Stunde immer mehr. Die meisten Fahrer hatten nur Burger, Cola und
Pommes gekauft, aber das hatte nichts zu sagen. Sicher kundschafteten
die Entführer den Laden ebenfalls aus. Nichts zu kaufen wäre
auffällig gewesen. Und warum sollten die Taliban keine Burger
essen? Ihre Religion schrieb ihnen ja nicht vor, vegetarisch zu
leben. Miriam und er hätten sich in der Sommergaststätte
des am Stadtrand liegenden Sees bei Bratwürsten und Bier
verabreden sollen. Schwein und Alkohol. Das wäre in jedem Fall
klüger gewesen.
    Nachdem
Miriam ihr Auto auf dem Parkplatz des Drive-In abgestellt hatte,
lehnte sie sich an die Tür und zündete sich eine Zigarette
an. Daniel wartete noch zwei Minuten. Aufmerksam suchte er das ganze
Areal ab. Aus dem Glas-und-Stahl-Bürogebäude der
Autovermietung schaute eine Handvoll Angestellter seit längerer
Zeit kopfschüttelnd zu ihm herüber. Langsam fuhr er mit dem
Fahrrad zum Parkplatz. Miriam hatte das dringende Bedürfnis, ihn
zu umarmen. Sie war fett.
    Als
sie sich auf den mit rotem Kunstleder gepolsterten Bänken
gegenübersaßen, konnte sich Daniel immer noch nicht
richtig auf Miriam konzentrieren. Bei jedem Schluck Milchkaffee
wanderten seine Augen unruhig hin und her. Checkten die Situation.
Deshalb nahm er hintereinander sehr schnell sehr viele sehr kleine
Schlucke. Miriam erzählte von Desperate Housewives und Grey’s Anatomy . Menschen, die plötzlich blind
werden. Operationen, die ohne Betäubung durchgeführt
werden. Daniel dachte sich den Plot einer Fernsehserie aus, die es
überhaupt nicht gab, weil er nicht zugeben wollte, dass sein
Fernsehapparat im Garten kollabiert war. Und ständig wanderten
die Augen. Manchmal drehte er sich auch ruckartig um. Seit dem Date
hatte er keinen Kontakt mehr zu Miriam. Sie hatte sich nicht mehr
gemeldet. Und die Taliban waren nicht aufgetaucht.
    Genau
wegen solcher Wahnvorstellungen bin ich arbeitsunfähig, getrennt
lebend und in Therapie, dachte Daniel.
    Die
Haustür zur Villa und die Tür zu Doktor Hamanns Praxis
waren wie immer unverschlossen. Das Wartezimmer war leer. Der
Korbstuhl drückte seine Lehne aufdringlich gegen die
Rückenwirbel. Das war kein Pro-Bandscheiben-Tag. Wenn der
Schmerz erst einmal da ist, schaut er immer wieder vorbei. Wie
uneingeladene Verwandte. Daniel stand auf, um an der Tür zu
Hamanns Arbeitsräumen zu klopfen, aber dann hielt

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