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Kriegsgebiete

Kriegsgebiete

Titel: Kriegsgebiete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Spranger
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sich den Bluterguss zentimetergenau vorstellen. Die Beine
ließen sich widerstandslos bewegen, sogar ohne ausdrücklichen
Befehl. Nur der Rücken war nass. Scheiße, die Bierflasche
von Maik. Daniel befreite sich vom Rucksack, bevor die Scherben der
Flasche ein Tattoo in seiner Haut hinterlassen konnten.
    Die
Katze trottete gelangweilt weiter, weil ihr die Aktivitäten des
Menschen zu langweilig wurden, obwohl man selten einen Menschen in
einer solchen Lage sieht.
    Die
Spiegelschicht im Katzenauge heißt Tapetum lucidum .
Leuchttapete. Auch andere Tiere haben eine solche Leuchttapete.
Hunde. Rehe. Haie. Krokodile. Igel. Menschen dagegen nicht. Deshalb
brauchen sie etwa sechsmal so viel Licht wie eine Katze, um in der
Dämmerung Bewegungen oder Umrisse zu erkennen.
    Mir
fehlt einfach die Erleuchtung, dachte Daniel. Ich blick nicht durch.
Ein Nachtsichtgerät wäre nicht schlecht. Eines der neuen
Generation, mit dem eine fünfzigtausendfache
Restlichtverstärkung erreicht wird. Um den Feind sehen zu
können.
    Daniel
gefiel der Gedanke überhaupt nicht, dass der Mörder ihn bei
seinem Fahrradsturz beobachtet haben könnte. Er hielt die Luft
an, um besser hören zu können. Wenigstens kein Lachen,
dachte er.
    Nirgendwo.
    Eigentlich
Zeit, wieder aufzustehen.
    Trotzdem
liegen bleiben.
    Mein
Bewegungsapparat ist funktionstüchtig, aber mein Hirn weigert
sich. Es will nicht mehr nach draußen zum Spielen. Wo die
ungesunden Gedanken der restlichen Menschheit herumschwirren. Ich bin
traumatisiert. Ein Irrer. Ein Psychopath. Ein kranker Mensch.
    Was,
wenn ich diese Menschen umgebracht habe? Ich bin ein Profi. Ein
Veteran. Das Töten gelernt und geübt. Einmal damit
angefangen, kann man es nicht mehr lassen. Wie die amerikanischen
Soldaten, die, aus dem Irak heimgekehrt, die Verbrechensrate in
Colorado Springs um über sechzig Prozent ansteigen ließen.
Mord und Vergewaltigung. Bin ich so? Mordlüstern. Vergewaltigt
habe ich noch keine Frau. Könnte ich überhaupt nicht.
Natürlich habe ich sexuelle Fantasien. Zumindest kann ich mich
an eine Vergewaltigung nicht erinnern. Selbst in der Ehe nicht. Ob
die ermordeten Frauen vergewaltigt worden sind? Kann sich etwas von
der Persönlichkeit so abspalten, dass es komplett eigenständig
wird? Dass es die Spuren im eigenen Gedächtnis verwischt? Das
sind doch meine Erinnerungen, dachte Daniel. Mein Hirn. Traust du dir
das zu? Einen Moment lang traute er sich alles zu. Oder wenigstens
dem bösen, Amok laufenden Teil seines Ichs. Es gab diesen Film
mit Robert De Niro, in dem dessen abgespaltene Persönlichkeit
seine Freundin umbringt und beinahe die eigene Tochter. Wenigstens
Lea könnte er nie etwas antun, da war sich Daniel sicher. Es
gibt noch ein paar andere Filme, in denen der Mörder nicht weiß,
dass er selbst gemordet hat, weil die Psyche eine Straßensperre
aufgebaut hat. Identität. Psycho. Daniel hatte ein gutes
Verhältnis zu seiner Mutter. Er müsste seine Eltern nur mal
wieder besuchen. In Angel Heart weiß selbst der Detektiv
nicht mehr, wer er ist. Immerhin erhält in A Beautiful Mind ein Schizophrener den Nobelpreis, nachdem er gelernt hat, seine
Krankheit anzunehmen. Das ist eine wahre Geschichte, dachte Daniel.
Das ist eine wahre Geschichte. Ich war es nicht. Aber du kannst es
gewesen sein. Hollywood sagt Wahrheiten, in denen man sich sofort
wiedererkennt. Hollywood lügt.
    Daniel
sieht sich am Fischteich. Die tote Frau im Wasser. Sie ist schön.
Die Wunde am Hals schreit. Das Wasser schluckt den Schrei. In ihrem
Laden hatte er mehrmals die Woche eingekauft. Kirsten Fritsch saß
an der Kasse. Er konnte sich nicht mehr an ihre Gesichtszüge
erinnern oder daran, wie sie sich bewegt hatte. Wie ihre Finger die
Ware über den Scanner der Kasse gezogen hatten.
    Voll
zerbombt, mein Gedächtnis, dachte Daniel und wusste sofort, dass
es nicht stimmte. Der Schleier der Zerstörung hatte sich nicht
komplett über seinen Verstand gelegt. Die Wege im Supermarkt
hätte er blind mit dem Einkaufswagen zurücklegen können.
Ganz links am Eingang gleich der Kaffee. Ihr Namenschild, die
Leergut-Bons, das hatte er nicht vergessen. 
    Und
die großen Augen unter Wasser. Die klaffende Wunde an Kirstens
Hals zog durch seinen Verstand wie eine hässliche Narbe.
    Ich
habe sie nicht ermordet, sagte er zu sich selbst. Das war ich nicht.
    Sein
Hirn gab keinen Ist-Zustandsbericht. Funkte keinen Status. Daniel war
sich nicht sicher, ob es noch ganz auf seiner Seite war.
    Ich
bin doch keine

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