Kriegsgebiete
gespaltene Persönlichkeit, deren phlegmatischer
Teil sich auf einer Couch im Garten vom lieben Gott bepissen lässt,
während der aktivere Part loszieht und Frauen abschlachtet.
Doktor Jekyll und Mister Hyde. So was sieht man im Fernsehen. Oder
erwacht rechtzeitig aus einem Albtraum, bevor Schlimmes passiert. In
einer Welt, die ganz schwarz-weiß ist, gibt es so was. Mit
schwarz-weißen Menschen. Mit Blut, das nicht rot ist. Und
plötzlich keine Regie mehr über das eigene Leben. Manches
ließe sich gespalten leichter ertragen. Ich wäre mit
jemandem zusammen. Nicht nur mit mir. Dem Trauma. Meiner Geschichte.
Stress.
Ich muss meine Atmung unter Kontrolle kriegen. Das ist ja nur meine
Atmung. Nicht ferngesteuert. Wenigstens meinen Körperfunktionen
muss ich vertrauen können. Ich kann sie kontrollieren. Sie
wollen mir nichts Böses.
Mein
Messer in meinem Psychotherapeuten. Doktor Hamann ganz tot. Das war
mein Messer. Ich habe es im See versenkt.
Daniel
konzentrierte sich auf seine Atmung. Sie wurde ruhig.
Oh
Mann, dachte er, vielleicht bist du gar nicht verrückt –
sondern schon längst tot. Irgend so ein Scheißtaliban hat
dir den Schädel weggepustet. Du bist in dem verdammten
Hinterhalt gestorben und das Ganze ist so eine Art Nahtoderfahrung.
Letzte chemische Prozesse eines Hirns, das großflächig auf
einer Wand verteilt ist. Das ist deine letzte Reise und jetzt geht es
ab in den Tunnel. Oder es ist schon das Jenseits. Ohne Jungfrauen.
Für private Jungfrauen im Paradies hast du den falschen Glauben.
Jedenfalls liegst du neben dem Eagle und dein Hirn klebt an
der Wand. Aus dem Scheißafghanistan kommst du nicht mehr raus.
Freitag
Etwas
zupfte an ihm. An seinem Ärmel.
Daniel
öffnete die Augen.
Keine
Nacht mehr. Die Morgendämmerung schob sich in den nächsten
Tag. Die Straße unter ihm war kalt. Die Haut auch. Sein Rücken
war schon aufgewacht. Die Lendenwirbel schossen einen unnachgiebigen
Schmerz durchs Rückenmark, der an seinem Kopf zerrte.
Ein
Hund leckte ihm über das Gesicht. Die Zunge war warm und feucht.
Der Hund stank aus dem Maul. Mit einem Ruck wurde er zurückgezogen.
Das
Gesicht eines alten Mannes erschien über ihm.
»Geht
es Ihnen gut?«
»Ja«,
antwortete Daniel.
»Bleiben
Sie ganz ruhig«, sagte der alte Mann.
»Ich
bin ruhig.«
»Ich
habe den Notarzt gerufen. Er wird gleich hier sein.«
Daniel
setzte sich ruckartig auf. Die Bauchmuskeln spielten mit, aber der
Rücken verbreitete den Schmerz an alle Nerven bis in die Zehen.
»Kein
Notarzt.«
»Er
wird gleich hier sein. Mein Sohn hat mir ein Seniorenhandy geschenkt.
Große Tasten, wenig Funktionen. Damit wählt sich die
Notrufnummer ganz einfach.«
Daniel
stand mühsam auf. Die Beine waren eingerostet. Die Gelenke
knacksten. Ein Kaltstart mit kaputter Maschine. Der Hund bellte, als
würde sich ein Zombie auf ihn zu bewegen. So fühlte sich
Daniel auch. Wie ein Untoter hob er den Rucksack auf. Alles an ihm
war verlangsamt.
»Das
sollten Sie wirklich nicht machen«, sagt der Alte. »Sie
könnten eine Rückenverletzung haben. Die transportieren Sie
mit Luftpolstern ab. Ich hab das im Fernsehen gesehen.«
Als
Daniel sich bückte, um das Fahrrad aufzuheben, brüllten ihn
die Rückenschmerzen genau so an, wie er es erwartet hatte.
Wenigstens leistete das Bike keinen Widerstand.
»Sie
wollen doch nicht einfach verschwinden?«, fragte der alte Mann
entsetzt.
»Ich
muss dringend weiter.«
»Aber
ich habe den Notarzt gerufen. Wie schaut denn das aus?«
»Sagen
Sie denen, ich sei verrückt.«
Nachdem
Daniel schwer atmend ein paar Meter mit dem Rad zurückgelegt
hatte, stellte er erstaunt fest, dass die Schmerzen nachließen.
Vielleicht war nun auch sein eigener Rücken zum Feind
übergelaufen. Immer in Bewegung bleiben. Vielleicht konnte er
den Schmerzen entkommen, wenn er schneller fuhr. Die Eigensicherung
hatte oberste Priorität.
Ein
Krankenwagen mit Sirene und Blaulicht kam ihm entgegen. Daniel trat
kräftiger in die Pedale. Er öffnete die Lider weiter, um
den kalten Fahrtwind nicht gewinnen zu lassen. Die frische Morgenluft
legte sich wie ein Wellnessprogramm über seine aufgequollenen
Augen. Die Scherben der kaputten Bierflasche in seinem Rucksack
klirrten.
Daniel
bog in ein paar Nebenstraßen ab. Er hatte zwar noch nie davon
gehört, dass ein Rettungswagen einen Verletzten verfolgte, aber
bei einem Notruf wurde auch die Polizei verständigt. Die Häuser
in den Seitenstraßen sahen so unbelebt aus, als wären
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