Kriminalgeschichte des Christentums Band 04 - Fruehmittelalter
Gewölben des Hofes von Brannaceum (Braine) beinah nicht mehr zu bergen ist, sieht der Episkopat in diesen gekrönten katholischen Verbrechern die legitimen Repräsentanten staatlicher Gewalt, die Stellvertreter Gottes auf Erden, für die das Gebet in die kirchliche Liturgie Eingang findet, wird die politische Situation von allen Bischöfen Galliens »uneingeschränkt bejaht« (Vollmann).
Denn die Kirche, von Anfang an Bündnispartner der merowingischen Machthaber, konnte sich entfalten wie seit langem nicht. Ihr Einfluß wird immer größer, der Welt-, der Ordensklerus ungeheuer reich. Und nicht zuletzt die fast dauernde Katastrophe, der fast nie abreißende Schrecken, das ganze umfassende Elend begünstigte das Zustandekommen von Schenkungen beträchtlich. »Weil sie von ihnen Schutz und Hilfe erwarteten, wandten sich die beständig von Plünderungen, Feuersbrünsten, Mord und Vergewaltigung bedrohten Menschen an die Kirche und ihre Heiligen« (Bleiber). Und das bezahlte der Gläubige natürlich. Zumal noch schlimme Naturkatastrophen, vermeintliche gerechte Strafakte Gottes, dazukamen. Und die Kriege. Auch sie, versteht sich, gerechte Rachetaten des Herrn. Krieg aber war alltäglich, galt geradezu als Erwerbsquelle, als ein Geschehen, mit dem sich wie von selbst die Vorstellung reicher Beute verband.
Die Kirche dachte nicht daran, dagegen zu sein. Ihr Weizen gedieh. Allein zwischen 475 und dem Beginn des 6. Jahrhunderts verzehnfachte sich die Zahl der gallischen Klöster. In der ersten Hälfte des folgenden aber baute man hier mehr Klöster als jemals früher oder später. Und im Hinblick auf die Mitte des 7. Jahrhunderts spricht ein moderner Forscher gar von einem »Bischofs- und Möchsstaat« (Sprandel). Der Episkopat, nicht nur eine wirtschaftliche, auch eine politische »Großmacht« (Dopsch), spielte eine fast ebenso maßgebende Rolle im Reich, wie das noch durchaus dominierende Königtum in der Kirche. Beide waren eng miteinander verflochten. Denn auch der Herrscher sollte der Kirche ergeben sein, devotissimus, und gilt, zumindest in der Karolingerzeit, »als Kleriker« (Brunner). 12
Diese ganze Epoche, äußerst grausam und ungewöhnlich fraudulent, war zugleich sehr »fromm«. Ganz allgemein ist der Besuch der Sonntagsmesse gewesen – »mit dem Glockenläuten stürzten sie in Haufen zu den Kirchen« (Pfister). Fast ebenso allgemein eilte man zum Kommunionsempfang. Eifrig gepflegt wurde der Kirchengesang. Fast alles beteiligte sich an Prozessionen. Die katholischen Feste wurden als große Volksfeste gefeiert. Man betete vor Tisch und trank keinen Becher Wasser, ohne das Kreuzzeichen darüber zu machen. Man betete aber nicht nur zu Gott, man rief fortgesetzt auch alle möglichen Heiligen an. Man baute zahlreiche Kirchen, mit Marmorsäulen und Marmorwänden, Glasfenstern und vielen Gemälden; die Reichen hatten sogar ihre Hauskapellen. Könige verkehrten mit Heiligen, wie 525/526 Theuderich I. mit dem hl. Gallus in Köln (der dort einen Tempel niederbrannte, »weil sich gerade keiner von den törichten Heiden blicken ließ«; nachher floh der Brandstifter in den Königspalast). Childebert I. suchte den hl. Eusicius auf. Königinnen, Radegunde beispielsweise, wuschen Bischöfen die Füße. Man predigte häufig in der Volkssprache. Es gab berühmte Kanzeltäter, wie die Oberhirten Caesarius von Arles, Germanus von Paris, Remigius von Reims. Metropolit Nicetius von Trier soll täglich gepredigt, sich gelegentlich gar als »Reichsbischof« des Reimser Reiches präsentiert haben, dogmatisch aber reichlich unwissend gewesen sein. Ein Schreiben von ihm an Justinian bekundet dies geradezu peinlich, was Nicetius jedoch nicht abhielt, den Theologen auf dem Kaiserthron (II 369 ff.) als primitiven »Ketzer« hinzustellen und ihm – aus der Ferne – zuzurufen, »tota Italia, integra Africa, Hispania vel Gallia coniuncta« verfluchten seinen Namen. Der krasseste Wunderglaube war allgemein. Man hortete Reliquien aus Rom, aus Jerusalem, man wallfahrtete zu den angeblichen Apostelgräbern, um gesund zu werden.
Kurz, man war tief überzeugt, »von der Wirklichkeit und Gewalt des lebendigen Gottes« (Heinsius). Es grassierte »ein kräftiger, frischer Gottes- und Vorsehungsglaube: man handelte mit dem Göttlichen nicht als mit einer Abstraktion oder einer Vorstellung, sondern als mit einer sehr realen Kraft. Diese Überzeugung war allgemein herrschend: Geistliche und Laien ohne Unterschied teilten sie.« Die erste Hälfte
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