Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
grundherrschaftlichen Instanzen, ein Mit- und Gegeneinander lokaler Machtstrukturen, »jeweils durch kriegerische Unternehmungen von Klöstern und Kirchen und weltlichen Herren entstanden« (Tabacco). Über aller feudalen Zersplitterung aber erhoben sich die großen Territorialherrschaften zumal der führenden Familien fränkischer Herkunft, die seit dem Zerfall des karolingischen Reiches um die Hegemonie im Regnum Italicum sich stritten und zerfleischten.
Unter Führung der Grafen Adalbert von Ivrea und Odelrich sowie mit maßgeblicher Beteiligung des Erzbischofs Lambert von Mailand (921–932) kam es 920/921 zu einer neuen Empörung gegen Berengar. Ja, Lambert, so Bischof Liutprand, war geradezu »die Ursache ihrer Erhebung«. Zwar hatte ihn König Berengar gerade erst zum Kirchenhaupt von Mailand bestellt, doch dafür, unkanonisch, aber weithin üblich, »keine geringe Summe Geldes verlangt«, und Lambert zahlte sie auch, »zahlte, von großer Begierde nach dem erzbischöflichen Stuhl getrieben, alles, was der König verlangte ...« Bald freilich tat ihm dies leid; nicht etwa weil es gegen das Kirchengesetz verstieß, nein, »weil er das viele Geld nicht vergessen konnte«. So begann er »den Abfall vom König zu erörtern«.
Doch Berengar rief gegen die Aufständischen die Ungarn zu Hilfe, die schwer die Toskana verwüsteten, und schlug die Rebellen bald. Diese aber holten im Winter 921/922 König Rudolf II. von Hochburgund, ihn zuvor wahrscheinlich mit der Heiligen Lanze (S. 384 f.) bewaffnend. Berengar mußte in den Osten weichen und Oberitalien mit Rudolf teilen, der in Pavia residierte, wo sich schnell die Prälaten einfanden, zumal der neue König den Berengar mehrmals schlug, entscheidend am 17. Juli 923 nahe Fiorenzuola (bei Piacenza), wobei 1500 Mann gefallen sein sollen. Immerhin zog sich der Sieger für etwa ein Jahr über die Alpen zurück. Berengar aber wurde am 7. April 924 in Verona, von seinem ganzen Reich ihm zuletzt allein verblieben, von seinem Vasallen und Gevatter Flambert, dessen Sohn er einst »aus der heiligen Taufe hob«, hinterrücks erstochen, passenderweise beim Morgengottesdienst. 54
Schon zwei Tage danach fanden allerdings auch Flambert und seine am Königsmord beteiligten Leute ihr Ende durch einen jungen Freund Berengars, einen Vertrauten namens Milo; zeichnete sich doch dieser Jüngling, von dem Bischof Liutprand lakonisch schreibt, er »ließ sie hängen«, »wahrhaftig durch nicht wenige und vortreffliche Tugenden aus ...«
Über Oberitalien brach nun völlige Anarchie herein. Die Sarazenen kamen, die Ungarn; letztere vielleicht noch von Berengar gerufen, um Rache für seine Niederlage bei Fiorenzuola zu nehmen. Sie schlossen Pavia ein, lehnten Lösegeld ab und brannten am 12. März 924- ein neuer Höhepunkt in dieser Chronik des Grauens – die Königsstadt samt dem Palast und 44 Kirchen nieder, natürlich – »unserer Sünden wegen« (Liutprand). Denn mißglückt was, ist's Gottes strafende, glückt was, ist's Gottes rettende Hand – primitiver geht's nimmer; aber so durch Jahrhunderte ... Ortsbischof Johannes und der zu ihm geflüchtete Oberhirte von Vercelli kamen in den Flammen um, dazu angeblich alle Einwohner bis auf zweihundert Reiche, die sich freikaufen konnten (offensichtlich die Sündenfreien!). Und in den Jahren 926/928 folgten weitere Raubzüge der Ungarn durch die Toskana, bis vor Rom, bis Apulien.
König Rudolf war zwar im Sommer 924 nach Pavia zurückgekehrt, vermochte sich aber nicht zu halten. Derselbe Erzbischof Lambert nämlich, der einst Mittelpunkt der folgenreichen Rebellion gegen Berengar war, durch die Rudolf ins Land kam, wurde jetzt Initiator einer Verschwörergruppe, die gegen den König dessen Nachbarn Graf Hugo von Arles und Vienne herbeirief, anscheinend als Rudolf gerade wieder mal in Burgund weilte. Auch Papst Johann X. gehörte offenbar zu den Gegnern. Denn der Beistand, den er sich wohl im römischen Machtkampf von Kaiser Berengar versprochen, war ausgeblieben. Und nach dessen Ermordung suchte Johann, der mit der Partei der Marozia rivalisierte, gleich einen neuen Partner und lud eben, zusammen mit den lombardischen Großen, Hugo von der Provence nach Italien ein.
Dem König aber eilte sein Schwiegervater Herzog Burchard von Schwaben zu Hilfe. Der Verwandte und Förderer des hl. Bischofs Ulrich von Augsburg überschritt mit einem Heer die Alpen und traf den Mailänder Erzbischof Lambert. Dieser jedoch, berichtet Liutprand, habe als
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