Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
die Wartezeiten, wie immer man sie sich vertrieben haben mag, lang und lästig, besonders wohl für Theodora, die bedürftige. Und so ist es wirklich wunderbar, wie nun ein Kirchenfürst nach dem andern rasch verbleicht und sozusagen seinen Sessel für Johann freimacht, der derart immer höher und vor allem Rom ständig näher rückt.
Zuerst stirbt, »während dieses schamlosen Treibens«, der Bischof von Bologna – und Johann wird Bischof in Bologna. Nach kurzer Zeit stirbt der Erzbischof von Ravenna – und Johann wird Erzbischof von Ravenna. Und nach wieder nur kurzer Zeit wird auch der Papst »von Gott gerufen« – und nun ist klar, was geschieht, geschehen muß, ist doch alles in Gottes Heilsplan vorgesehen: Theodora also, »deren verdorbenes Gemüt es nicht dulden konnte, daß ihr Liebhaber, zweihundert Meilen, die Rom von Ravenna trennen, von ihr entfernt, nur selten zum Beischlaf zur Verfügung stehen würde, nötigte ihn, den erzbischöflichen Stuhl in Ravenna zu verlassen und – es ist unerhört – in Rom die höchste Würde als Pontifex in Besitz zu nehmen«.
Theodora war zwar nicht mehr die Jüngste und starb bald darauf. Doch jedenfalls saß jetzt der so strapazierte Ravennater Erzbischof als Johann X. (914–928), trotz klerikalen Widerstandes, fest im Sattel; und dies verdankte er sogar nach Seppelt (der hier ganz den Heiligen Geist vergißt), »lediglich der Familie des Theophylakt«. Der zehnte Johann aber hielt sich um so länger, als er für seine geistlichen Pflichten nur wenig Zeit und Augenmaß hatte, wenn ausgerechnet auch ihn Chronisten, da er die strenge Regel von Cluny bestätigte, den Reformatoren des Mönchtums zuzählen. Und erwies er wohl schon im Bett sich als der, wofür man ihn hielt, im Krieg stand er erst recht seinen Mann.
Die dauernden »Wirren« unter den Christen, ihr jahrzehntelanges gegenseitiges Abmurksen (und das anderer) hatte die Aktivität der Araber noch angeregt und u.a. zu einem Stützpunkt für ihre Operationen an der Mündung des Garigliano geführt. Doch kaum war Johann Papst, schloß er einen Militärpakt, stellte er einen großen Kampfbund mittel- und süditalischer Machthaber zusammen, bestehend aus Truppen von Spoleto, Benevent, Neapel, Gaeta und vor allem der Griechen. Ihr Kaiser schickte, »als frommer, gottesfürchtiger Mann«, sofort Soldaten per Schiff. Und der Papst, ohne Zweifel viel frömmer noch als der Byzantiner, ließ die Römer schwören, »keinen Frieden« mit den Sarazenen zu schließen, »bevor wir sie nicht aus ganz Italien ausgerottet haben«.
In der Tat gelang es ihm, auch sein kriegerisches Treiben »mit einer Serie schöner Erfolge zu krönen« (Eickhoff). Auf päpstliche Initiative wurde zunächst das Tibertal und das Salernitaner Gebiet von Arabern »gesäubert«. Im Mai 915 schloß man die Garigliano-Sarazenen ein und schlug – mit entscheidender Hilfe der Byzantiner – im August die Schlacht am Carigliano, bei der vielen christlichen Kämpfern die Apostel Peter und Paul erschienen sein sollen. Das wieder mag dazu beigetragen haben, daß den Rechtgläubigen nur wenige Gegner entkamen, die man dann noch in den Bergen vertilgte. Bischof Liutprand behauptet gar: »Im täglichen Kampf der Griechen und Lateiner blieb durch Gottes Barmherzigkeit nicht einer der Punier übrig, der nicht mit dem Schwert getötet oder sofort lebend gefangen wurde.« Der Stellvertreter Christi aber, der selbst am Krieg teilnahm, prahlte gegenüber dem Erzbischof Hermann von Köln, sich und sein Leben eingesetzt und die Soldaten zweimal persönlich zum Angriff geführt zu haben.
Als Realpolitiker mißachtete Johann X. die Rechte des geblendeten Kaisers Ludwig III. von der Provence (S. 338 f.) und krönte noch im Dezember 915 den einflußreicheren, über Oberitalien gebietenden König Berengar (888–924), zu dem er schon als vielbeschäftigter Ravennater Erzbischof Beziehungen pflegte, in St. Peter zum Kaiser; nach Wido und Lambert der dritte und letzte Kaiser italienischer Nation. Berengar schwor den hergebrachten Eid, die Interessen sowie den Besitz des Römischen Stuhles zu schützen, und beschenkte Klerus, Adel und Volk. Doch sein Kaisertum war nicht viel mehr als Schall und Rauch. 53
Anarchische Zustände in Italien
Im sogenannten unabhängigen Königreich Italien zerbröckelte immer mehr die Königsgewalt. Es begann, typisch für seine mittelalterliche Zeit, eine ungemeine Diskontinuität, ein vielfältiges Gewirr von klerikalen, militärischen,
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