Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
das auch das Unternehmen Justinians verdrängte – sogar selbst Verfasser eines Rechtshandbuches für die Praxis, auch Autor übrigens von Kirchenliedern, Predigten und strategischen Studien, was alles ganz wunderbar zusammenpaßt, und suchte sich, wenn schon nicht rechtlich, so doch kirchlich abzusichern. Sein eigener neuer Patriarch freilich, sein vormaliger »Schulfreund« und Geheimsekretär Nikolaos I. Mystikos (901–907, 912–925), hatte offen protestiert, den Kaiser mit dem Bann belegt und die Anerkennung Konstantins als legitimen Erben verweigert. Papst Sergius aber, der selbst locker mit Frauen umging, als etwa 45jähriger der 15jährigen Marozia einen Sohn machte, der dann als Papst Johann XI. den Stuhl Petri bestieg (S. 490), erteilte dem schon vom Gottesdienstbesuch ausgeschlossenen Herrscher die Ehedispens, und Patriarch Nikolaos mußte als Verbannter für Jahre in sein Kloster Galakrenai zurück. 51
Auftakt des »Römischen Hurenregiments« – Papst Johann X.: im Bett und auf dem Schlachtfeld
Entscheidend für länger als ein Jahrhundert wurde, daß durch den Heiligen Vater Sergius III., den Doppelmörder, das Geschlecht eines gewissen, mit ihm wahrscheinlich verwandten Theophylakt in Rom die Macht bekam, darunter auch einige herrschbegierige, ebenso gerissene wie genußsüchtige Damen. – Das Etikett »Römisches Hurenregiment« oder »Pornokratie« haftet dieser Periode der Stellvertreter Christi seit dem protestantischen Theologen Valentin Ernst Loescher an (Herausgeber der theologischen Zeitschrift »Unschuldige Nachrichten von alten und neuen theologischen Sachen: 1701–1720«). Doch florierte die Hurerei, an sich ja kein so schlimmer Zug, wie beim katholischen Klerus überhaupt, so auch in Rom, wo es am heiligsten ist, durch alle Zeiten fort.
Theophylakt (gestorben in den frühen 920er Jahren), aus römischem Hochadel, Konsul, Senator, magister militum, stand nicht nur an der Spitze der römischen Stadtverwaltung, sondern stieg auch zum Leiter der päpstlichen Finanzen, zum höchsten Verwaltungsbeamten der Kirche auf.
Seine Frau, die ehrgeizig-energische und schöne Theodora d.Ä. – »die schamlose Hure«, wie Bischof Liutprand von Cremona in seinem anrüchigen, oft boshaft-ironischen, episodenreichen, aber gleichwohl wichtigsten Geschichtswerk dieser Zeit »Antapodosis« sagt –, nannte sich selbst »Senatrix«, war Mutter zweier Töchter, Theodora d.J. und der Marozia, »sogar noch eifriger im Venusdienst«, und koitierte mit einem künftigen Papst, Johann X. (Der katholische Papsthistoriker Franz Xaver Seppelt möchte dies nicht glauben, möge auch sein, »daß der neue Papst nicht gerade christlich gesinnt war und daß sein Leben den Anforderungen des Sittengesetzes und seines hohen Amtes nicht entsprach«.)
Theodoras nicht minder verführerische Tochter Marozia (diminutiv für Maria: Mariuccia, Mariechen), in erster Ehe Gattin des Herzogs Alberich I., der sich nach Kaiser Lamberts Tod Spoletos bemächtigt hatte, trieb es indessen, wenn wir Bischof Liutprand und dem offiziösen Papstbuch glauben dürfen (und sogar Seppelt hält dies jetzt für »höchst wahrscheinlich«), mit Papst Sergius III., vermutlich ihrem Onkel; beider Bemühungen entsprang Papst Johann XI. (931–935). Der englische Theologe de Rosa weiß: »Das erste mal hatte Papst Sergius sie im Lateranpalast verführt.« Ganz ähnliche Zustände aber, die in Rom »fast immerhin eineinhalb Jahrhunderte dauerten« (Halphen), herrschten auch an anderen Bischofssitzen. 52
Nachdem Papst Lando (913–914), Sohn des reichen Langobardenfürsten Taino und eine Marionette Theodoras d.Ä. (gest. nach 916), deren Schützling Johann vom Bischof von Bologna, der er angeblich gewaltsam und tatsächlich ohne Weihe geworden war, für neun Jahre (905–914) zum Erzbischof von Ravenna gemacht, soll Johann – »zweifellos eine starke Persönlichkeit« (Handbuch der Kirchengeschichte) – öfter bei Theodora im Bett als zu Ravenna in der Kirche gewesen sein; Gerüchte vielleicht, nicht zuletzt Pfaffengerüchte. Doch schildert Bischof Liutprand ziemlich atemberaubend den Aufstieg des nachmaligen Papstes Johann: wie geistliche Pflichten ihn wiederholt nach Rom rufen, wie Theodora, die »recht schamlose Dirne, von der Hitze der Venus entflammt (Veneris calore succensa)«, sich in die schöne Erscheinung des Priesters verliebt – »und wollte mit ihm nicht nur huren, sondern nötigte ihn nachher immer wieder dazu ...« Natürlich waren
Weitere Kostenlose Bücher