Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
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In 400 Jahren 170 Kriege gegen die Slawen
Schon Pippin II. (gest. 714) hatte seine Eroberungen Westfrieslands und Thüringens im engen Bündnis mit der römisch-katholischen Kirche unternommen, ihr Land in den annektierten Gebieten übertragen und so, wie heute Papst Wojtyla sagen würde, die »Evangelisierung« ermöglicht (IV 295 ff.).
In Karls grauenhaften Sachsenkriegen war es nicht anders. Rauben und Christianisieren gehörte einfach zu seiner Politik. Immer ging es mit christlichen Fahnen nach Sachsen hinein, immer folgten der Pfaffe und sein »Segen« dem Militär und dessen Stoßlinien, immer wuchs aus dem Blut- das Taufbad hervor, aus dem Massenmord die Mission (IV 457 ff.). Und auch die Auslöschung des Awarenreiches an der Ostflanke des fränkischen Imperiums, dieses gleichfalls rein annektionistische Großverbrechen Karls, wurde als heiliger Krieg und mit Hilfe von Feldbischöfen betrieben. Überall wirkten auch hier Krieger und Kleriker zusammen, wurden die weiten, durch das Schwert gewonnenen Räume im Südosten dann besonders durch das Patriarchat von Aquileja und das Erzbistum Salzburg »bekehrt« (IV 485 ff.).
Nach der Vernichtung des awarischen Reiches folgten ungezählte weitere Züge wider die dort wohnenden slawischen Völker, einige noch in der ersten Hälfte, immer mehr aber seit der Mitte des 9. Jahrhunderts. Die Felder wurden verwüstet, die Herden vernichtet, viele Menschen getötet. Fast das ganze Leben des älteren Sohnes von Ludwig dem Deutschen, des 880 gestorbenen Karlmann, des Herrn über Bayern, Kärnten, Pannonien, Böhmen und Mähren, war von Kriegen ausgefüllt. Und alle waren mit Mission verbunden. Immer kam mit dem Schwert das Kreuz. Während man von Bayern, bevorzugt von Regensburg, der Zentralpfalz aus, Stück um Stück im Südosten an sich riß, betrieben die bayerischen Prälaten bei den unterjochten Slawen die Christianisierung. Der hohe Klerus begleitete aber auch die Truppen, ja führte diese manchmal an; so Bischof Otgar von Eichstätt, der 857 an der Spitze eines Aufgebots in Böhmen Eroberungen machte; so 871/872 Bischof Arn von Würzburg, der auch 892 dort einfiel und mit dem größten Teil seines Haufens erschlagen wurde; so 872 Bischof Liutbert von Mainz und Abt Sigehard von Fulda. 45
Anfang des Jahres 874 weigerten sich die Sorben und Susler an der thüringischen Grenze, den ihnen aufgezwungenen üblichen Zins zu zahlen. Darauf überschritten Erzbischof Liutbert von Mainz und Ratolf, der Markgraf der Sorbenmark, mit einem Heer im Januar die Saale und schlugen durch Brand und Plünderung die Erhebung der dortigen kleinen Grenzvölker nieder. Es war der letzte Slawenzug während der Regierung Ludwigs des Deutschen. Doch schon 877 wiederholte sich unter seinem gleichnamigen Sohn eine ganz ähnliche Attacke gegen die Susler und ihre Nachbarn; der König ließ sich »einige Geiseln und nicht wenige Geschenke geben und brachte sie in die alte Dienstbarkeit zurück«. 46
Natürlich unterstützte die Kirche alle Söhne Ludwigs des Deutschen dauernd, wie ja auch diesen selbst. Die geschundene, als bloße Arbeitssklaven mißbrauchte Masse speiste man mit Sündenvorwürfen ab, mit plumpem Reliquienschwindel, sogenannten Bittprozessionen, je schlechter es ging, desto mehr; gerade etwa in den Jahren 873 und 874, als besonders großes Elend hereinbrach, wie freilich oft: Schneeschmelze, Überschwemmungen, Hungersnot, Seuchen, Heuschreckenschwärme, so daß man »kaum den Himmel wie durch ein Sieb sehen« konnte und an sehr vielen Orten »die Hirten der Kirche und die ganze Geistlichkeit ihnen mit den Reliquiarien und Kreuzen entgegenzogen, unter Anrufung von Gottes Erbarmen«. Ja, »mit verschiedenen Plagen schlug der Herr beständig sein Volk und suchte heim mit der Rute ihre Ungerechtigkeiten und mit Schlägen ihre Missetaten« (Annales Xantenses).
Der Herr über den Wolken schlug zu – nicht der Herr auf dem Pferd! Der liebe Himmelvater schlug beständig zu. Und traf beständig. Auch die »Fuldaer Jahrbücher« sahen »das germanische Volk infolge seiner Sünden nicht wenig getroffen«. »Sünden« und »Missetaten« waren da stets schuld – nicht die Naturalwirtschaft des Adels, sein blutsaugerisches Dauer-Ausbeuten. Es schien schicksalhaft, wie die Naturgewalten, die doch auch vor allem wieder jene ereilten, von denen der Volkskundler Jeggle schreibt: »Der eigene Körper kannte keinen Genuß, nur Arbeit, die Frau und die Kinder waren ebenfalls bloße
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