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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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Kriege hatten dazu beigetragen, Versklavung, Betrug. Sogenannte Rechte wurden gewonnen, Privilegien, Immunitäten, die herrlichen Gegenden des Kirchenstaates ergaunert, von Ravenna bis Terracina, Land- und Seestreitkräfte wurden rekrutiert, die größten Fälschungen der Geschichte verbrochen, die berüchtigte Konstantinische Schenkung, die kaum minder berüchtigten Pseudo-Isidorien, deren sich gerade Papst Nikolaus bereits bedient, und die jene vermeintlichen riesigen Länderdonationen noch ausdrücklich involvieren. 17
    Nikolaus I. (858–867), den zumal Katholiken gern auch »den Großen« nennen, was immer einiges verspricht, zählt Leopold von Ranke nicht von ungefähr den Männern zu, die man »als lebendig gewordenes System« betrachten könne. Und dies verspricht fast noch mehr.
    Knüpft Nikolaus doch an weitere »Große«, an die papalen Ambitionen von Leo I., Gelasius I. und Gregor I. an.
    An Leo, der mit der obligatorischen Bescheidenheit von seinesgleichen den Papst nahe zu Christus und Gott hin rückt, dem »ewigen Hohenpriester«, ihm »ähnlich und dem Vater gleich« (II 243 ff.)! An Gelasius I., der sich, wiewohl »der Geringste aller Menschen«, öffentlich immer wieder als dem »Apostel Petrus«, dem »Vikar Christi« huldigen läßt; der die auctoritas des Papstes über die potestas des Kaisers stellt und fordert, auch der Kaiser habe die Befehle des päpstlichen Stuhles, des »engelhaften Stuhles«, auszuführen und vor ihm »fromm den Nacken« zu beugen (II 324 ff.)! An Gregor I., der wieder demutsvoll darauf verweist, daß die Heilige Schrift »die Priester bald Götter, bald Engel« nenne, dem aber sogar sein Nachfolger, Papst Sabinianus, »Sucht nach eigenem Ruhm« vorwirft (IV 163, 189).
    Nun waren die Ansprüche, die Anmaßungen seiner »großen« Vorgänger lauter Wunschträume, nicht im geringsten, besonders in Band II gezeigt, durch die Geschichte gedeckt. Nikolaus aber griff die gierig ersehnte imperiale Machtfülle keinesfalls nur gelegentlich auf – dabei bereits, ohne sie zu nennen, der Pseudo-Isidorien sich bedienend, sondern er faßte das früher Zerstreute gewichtig zusammen und steigerte es noch eindringlich diktionell, wenn auch kaum kraft eigenen Kopfes, sondern seines brillanten, seit 861/862 wieder an Einfluß gewinnenden engsten Mitstreiters Anastasius (Bibliothecarius), der offenbar viele der allerhöchsten Schreiben formulierte.
    Papst Nikolaus entwickelte nun voll den erst bei Leo IV. in Ansätzen aufscheinenden päpstlichen Jurisdiktionsprimat. Er verlangte umfassende Macht. Wenn vom Herrn dem Papst »alles übergeben worden, so fehlt nichts, was er ihm nicht gegeben hätte«. (Wenn ist eben nicht nur, wie Hebbel meint, das deutscheste aller Worte.) Und niemand könne, da von Gott gegeben, des »apostolischen Stuhles« Vorrechte mindern. Nikolaus erkannte den Päpsten jetzt den »Fürstenrang göttlicher Macht« zu, nannte sie demütig wieder »die Fürsten über die ganze Erde« und die ganze Erde schlicht »die Kirche«, ja, titulierte seinesgleichen zum erstenmal »Stellvertreter Gottes«. Der Papst kann von niemandem gerichtet werden, auch nicht vom Kaiser, er aber kann alle richten, selbstverständlich auch die Konzilien, die Staaten, die Herrscher. Denn komme diesen auch eine gewisse Eigenständigkeit zu, haben sie sich doch, außen- wie innenpolitisch, von kirchlichen Prinzipien bestimmen zu lassen, haben sie jedwedes Unheil von der Kirche fern zu halten und deren Befehle und Sühnemaßnahmen zu vollstrecken, bei Androhung irdischer und ewiger Strafen, des Kirchenbannes und der Hölle.
    Nicht genug. Ist die weltliche Gewalt der Kirche nicht gehorsam, ist es der Gläubigen verdammte Pflicht und Schuldigkeit, der weltlichen Gewalt selbst ungehorsam zu sein. Denn nun gilt niemals – bis heute! – das paulinische Gebot: Seid Untertan der Obrigkeit! Nein, jetzt gilt ihr alter Trick: Ihr sollt Gott mehr gehorchen als den Menschen – und Gott, stets einzuschärfen, sind – in praxi – sie! Alles muß nach ihrer Pfeife tanzen. Mit der weltlichen Obrigkeit darf man es nur halten, solange die es mit der Kirche hält, wenigstens nicht gegen sie, denn dann wird dies schweres Unrecht, das nie auf päpstlicher Seite stehen kann, weil da ja Gott steht! Beschwören sie also das Recht, meinen sie im Grunde dasselbe, wie wenn sie Gott beschwören – sich! »Sehet zu«, schreibt Papst Nikolaus ins Frankenreich, »ob sie nach Recht herrschen, sonst sind sie mehr als Tyrannen

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