Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
Stammland, die fränkischen Kerngebiete um Aachen und Metz mit Nordburgund, das regnum Hlotharii, das, später nach ihm benannt, bis heute seinen Namen trägt, sowie das nördlich anschließende rheinische Gebiet bis Friesland. Lotharingien, für den Rest des Jahrhunderts heftig umstritten, zunächst von Lothars Brüdern Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen, dann von den anderen Potentaten aus Ost- und Westfranken, gewann schließlich 925 König Heinrich I. als festen Bestandteil des ostfränkisch-deutschen Reiches – nicht ohne einen ersten Feldzug freilich.
Der jüngste Kaisersohn Karl von der Provence, ein Epileptiker, von dem man weder Nachkommen noch ein langes Leben erwartete, erhielt die Provence, das südliche Burgund und den Dukat Lyon. Bruder Lothar wollte Karl alsbald ins Kloster stecken, aber die provencalischen Großen verhinderten es. Doch starb Karl schon mit etwa 23 Jahren im Januar 863 bei Lyon, und die beiden älteren Brüder teilten sein Erbe; ihre Beziehungen verschlechterten sich ständig, es kam zu gegenseitigen, erfolglos bleibenden Einfällen.
Lothars II. skandalöser Ehehandel, der ein Jahrzehnt lang die fränkische Geschichte prägte, ist sowohl kirchen- wie profanpolitisch von besonderer Bedeutung. Er führte einerseits zur letzten Instanz des Papsttums in Ehesachen, er verhalf andererseits dem ostfränkischen Reich/Deutschland zur Gewinnung Lothringens. 22
Abt Hucbert – »Huren, Hunde und Jagdfalken« und 6600 Märtyrer
Nach dem Zeugnis des Bischofs Adventius von Metz war bereits der unmündige Lothar von seinem Vater mit Waldrada förmlich verlobt worden. Er war mit ihr verbunden in germanischer Friedel-Ehe (althochdeutsch: friedila, »Geliebte«, »Gattin«), die man besonders bei Standesunterschied schloß, bei Einheirat des Mannes oder Entführung der Frau. Gleich nach seines Vaters Tod jedoch hatte Lothar II. aus rein politischen Gründen Theutberga geheiratet, die Tochter des burgundischen Grafen Boso, deren einer Bruder, Graf Hucbert, als Abt von St. Maurice den Alpenübergang von Italien in das Rhonetal beherrschte, und die Kontrolle wichtiger Alpenpässe verschaffte Lothar eine Position für eventuelle Vorstöße nach Burgund. Die Ehe blieb indes kinderlos, und um die Fortdauer seines Reiches zu sichern, verstieß er nach Jahresfrist 857 Theutberga, um seine frühere Geliebte Waldrada zu heiraten. Wie Theutberga entstammte sie fränkischem Hochadel, und nach mehreren Quellen soll sie eine Schwester des Erzbischofs Gunthar von Köln gewesen sein. Schon vor Lothars Thronbesteigung (855) hatte sie ihm einen Sohn, Hugo, sowie zwei Töchter, Bertha und Gisla geschenkt, die später auch als ebenbürtig galten. 23
Nun waren seit Ludwig dem Frommen, offenbar unter dem Einfluß seiner geistlichen Berater, erstmals bestimmte christliche Moralvorstellungen durchgedrungen. Lothar freilich beseelte eine hitzige lebenslange Leidenschaft, die sich die frommen Christen jener Zeit nur als Produkt finsterer Hexerei denken konnten. Regino von Prüm hielt den König »vom Teufel entflammt«, und selbst der hochgelehrte Erzbischof Hinkmar erörterte unter Aufbietung seines ganzen Wissens die Frage, »ob es wahr sein könne, wie viele sagen, daß es Frauen gebe, die durch Zauberkunst unauslöschlichen Haß zwischen Gatten und Gattin wecken und ebenso unsagbare Liebe zwischen Mann und Weib entzünden können, so daß der Mann nicht mehr mit seiner Gattin einen ehelichen Verkehr zu pflegen vermöge und nur nach anderen Weibern lechze«. Es versteht sich von selbst, daß der Erzbischof diese Frage bejahte, ja durch eine schauerliche Geschichte samt einer ganzen Liste von Zauberern und Zauberkünsten belegte, zumal er wußte, daß es, wie für jedes Laster besondere Teufel, so auch spezielle Unzuchtsteufel gebe.
Bis zu seinem Tod, durch zwölf Jahre, ringt Lothar um seine Ehescheidung, wobei ihn die beiden Erzbischöfe von Köln und Trier unterstützten sowie die meisten lotharingischen Oberhirten. Natürlich machte er gelegentlich fromme Schenkungen, wie an das Peterskloster zu Lyon, Schenkungen für alles mögliche, zum Seelenheil seines jüngsten Bruders, der dort begraben liegt, zum Heil seines Sohnes Hugo, seiner geliebten Gattin Waldrada, zur Sühne seiner Vergehen – es gibt viele Gründe, Klöster und Kirchen reich zu machen.
Um die Scheidung zu erreichen, bezichtigte jetzt Lothar – unter Ausstreuung mannigfacher Details – Theutberga der Blutschande mit ihrem eigenen Bruder
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