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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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Rückerstattung der »dem heiligen Petrus entrissenen Besitzungen« zwingen – ein Scheinfriede, der nicht von langer Dauer war. 20
    Und selbstverständlich stellten sich auch anderwärts die Mitbrüder wider den hl. Nikolaus, besonders scharf Hinkmar von Reims (845–882), der mächtigste Metropolit nicht nur im Frankenreich. Vergeblich hatte er davon geträumt, Vikar des Papstes zu werden, ja, mit königlicher Hilfe die westfränkische Kirche von Rom zu lösen, natürlich unter Reimser Primat.
    Erzbischof Hinkmar lebte im offenen Konflikt mit seinem aufmüpfigen Suffragan, dem Bischof Rothad von Soissons. Gestützt auf die Pseudoisidorischen Fälschungen, wollte dieser gewisse Rechte oder vermeintliche, die ihm Hinkmar absprach, behalten. Altes und neues Recht, richtiger altes und neues Unrecht standen gegeneinander. Da aber Rothad, der – ganz konform wieder mit den Pseudo-Isidorien – alle Übergriffe auch der weltlichen Macht auf den kirchlichen Bereich, auf Kirchengut, Benefizien und dergleichen verwarf, auch den König gegen sich hatte, setzte Hinkmar den widersätzlichen Bischof »nach den kanonischen Gesetzen« im Herbst 862 ab und warf ihn in Klosterhaft. Es geschah »am Märtyrergrab der hl. Crispin und Crispinian bei Soissons«, berichtet der Annalist von St. Bertin – es ist für diesen Zeitraum Erzbischof Hinkmar selbst (S. 137), und so wundern wir uns denn nicht, daß sein Bruder in Christo, Bischof Rothad, bei ihm »als neuer Pharao« figuriert »und als ein zum Tier verwandelter Mensch« (vgl. I 155 ff, 159 ff.). Papst Nikolaus aber erreichte nach einem Wechsel forscher Schreiben zwischen Rom und Reims Hinkmars Unterwerfung und Rothads Wiedereinsetzung 865. Das Interessanteste dabei, um wieder mit dem imprimierten Handbuch der Kirchengeschichte zu sprechen: »Das Verfahren lief ganz nach den Regeln der falschen Dekretalen ...«
    Tatsächlich hatte der Papst gegenüber Hinkmar nicht nur selbst auf diese angespielt, sondern sie auch als seit langem gültig bezeichnet und mit ihnen die Prozeßführung wie sein Urteil begründet. Man nimmt sogar an, daß Bischof Rothad der Überbringer der Fälschung nach Rom, vielleicht gar einer der Fälscher gewesen sei – wobei offen bleibt, ob der Papst die Dekretalen als Fälschung erkannt hatte.
    Wie auch immer – gleich allen Verkündern katholischer Demut behagte es Nikolaus, wenn man vor ihm zu Kreuze kroch; wenn etwa ein schuldbewußter Prälat in der devoten Art dieser Spezies nach der Gnade Seiner Heiligkeit gierte: »Dem allmächtigen Gott und Sankt Peter und der unvergleichlichen Milde Eurer Hoheit empfehle ich meine Wenigkeit, der Ihr Gottes Vertretung führt und auf dem ehrwürdigen Stuhl des höchsten Fürsten als wahrer Apostel sitzt ... Eurem Befehl will ich in allen Stücken gehorchen wie Gott, an dessen Statt und in dessen Namen Ihr alles verrichtet.« 21
    Widerlich.
    War es aber schon nicht nach jedes Prälaten Geschmack, sich derart in Rom anzudienern, so sträubte sich erst recht mancher Fürst gegen unwillige Hohepriester. Dies illustriert der Streit, der größtenteils in das Pontifikat Nikolaus' I. fällt, ein Streit, hinter dessen vordergründigen moraltheologischen Implikationen wieder nichts als nackte Machtpolitik das Haupt erhebt.

Lothars II. Ehestreit: Kaiser Lothar I. teilt sein Reich

    Ludwigs des Frommen ältester Sohn, Kaiser Lothar I., war am 29. September 855 im karolingischen Hauskloster Prüm (bei Trier) mit Tonsur und unter mönchischen Übungen gestorben (S. 140) – nachdem er sich noch in seinen letzten Lebensjahren mit zwei leibeigenen Mägden in wilder Ehe verbunden, doch nur sechs Tage in die Asketenkluft gesteckt hatte. Um seine Seele sollen denn auch die Geister des Lichts und der Finsternis heftig gerungen, die guten Engel aber durch Fürbitte der Prümer Mönche, von Lothar reich mit Schätzen, mit Land beschenkt (wofür der Himmel sich erkenntlich zeigt), die Oberhand behalten haben.
    Kurz vor seinem Tod hatte der Kaiser sein Reich unter seine drei Söhne geteilt, was die schon angeschlagene imperiale Macht weiter schwächte. Dem Ältesten, Ludwig II. (855–875), seit 840 bereits in Vertretung Lothars Unterkönig in Italien, war dies Land und die Kaiserkrone zugefallen. Doch blieb das Kaisertum praktisch auf Italien beschränkt und wurde, entgegen der bisherigen Anschauung, von der Krönung durch den Papst hergeleitet!
    Lothars I. zweiter Sohn, Lothar II., der mittlere (855–869), bekam das karolingische

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