Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
Frommen« (der durch bloßes Handauflegen und Kreuzschlagen Wunden heilen kann) zum Feuertod – traurig berühmt als erste »Ketzer«-Hinrichtung in Frankreich – auf dem Scheiterhaufen; zwei der (nach Radulf Glaber) 13 Opfer, ein Kleriker und eine Nonne, schwören ab und entgehen so dem Tod. Allerdings spielten dabei, wie oft bei der nun beginnenden religiösen Rivalenliquidation, nicht nur theologisch-spekulative Gründe mit; hier etwa auch Konflikte zwischen den Kapetingern und dem Hause Blois sowohl wie zwischen Cluniazensern und Weltklerus. (Die Leiche eines damals bereits seit drei Jahren verstorbenen, der »Ketzerei« beschuldigten Domherrn wurde wieder ausgebuddelt und nach bischöflicher Weisung auf den Schindanger geworfen – eine stets wieder geübte Totenschändung.)
In Arras kam es 1025 zur Verurteilung einer ähnlichen, eher aber rigoroseren Häresie, deren Apostel aus Italien stammten. Sie lehnten eine Fülle heiligster katholischer Riten ab, von der Taufe bis zum Begräbnis durch einen Priester auf geweihtem Boden, dazu allen möglichen Kirchen-Krimskrams, Weihrauch, Glocken, Altäre, nicht zuletzt die hl. Messe, ein vile negotium für sie, ein »schmutziges Geschäft«. Statt dessen wollten sie von ihrer Hände Arbeit leben und für »Rechtschaffenheit« (justitia).
Im Piemont gab es etwas später den vornehmen, Privateigentum und Geschlechtsverkehr verdammenden, auch kein Fleisch genießenden »Ketzer«-Kreis um das Kastell Monteforte bei Turin, den Erzbischof Aribert II. von Mailand 1028 auf den Scheiterhaufen schickt (VI 139). In Deutschland läßt Kaiser Heinrich III., »der fromme Friedensbringer« (Kaplan Wipo), am heiligen Weihnachtsfest anno 1050 »heretici« wohl aus Oberlothringen in Goslar hängen, weil sie sich sträubten, als Probe ein Huhn oder Kücken zu töten (VI 170). Im 13. Jahrhundert wurde dann die Weigerung, ein Tier umzubringen oder Fleisch zu essen, gewöhnlich als Nachweis der Häresie durch die Inquisition »mit Beil und Scheiterhaufen« ausgerottet. 8
Erst in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nehmen Häretiker-Episoden zu, treten auch schon größere »Ketzer«-Bewegungen auf, die nach ihren Gründern benannten Tanchelmistae, Arnoldistae, Eunitae, Petrobrusiani, Henriciani etc. Die Führer sind aggressiv auf Wandlung insistierende Reformer, die als Wanderprediger, als Kirchenkritiker wieder an die »vita apostolica« und »ecclesia primitiva« anzuknüpfen suchten. Manche schritten bis zur physischen Gewalt, rissen Kreuze nieder, verbrannten sie. Vielerorts erregten sie die »Rechtgläubigen«, wurden der Kirche aber nicht sonderlich gefährlich. Trotzdem machte man alle erbarmungslos unschädlich – auch wenn es im ganzen 12. Jahrhundert weder einheitliche Kriterien für das Erkennen der »Ketzerei« noch bestimmte Maßstäbe für deren Bestrafung gab. Die kirchliche Kurie vermied während dieser ganzen Zeit jede grundsätzliche Stellungnahme. 9
Einer der ersten in der Reihe jener Agitatoren, von denen einige Wegbereiter der Katharer wurden, war ein gewisser Tanchelm (Tanchelinus). Er trat in Antwerpen auf, wo ein Pfarrer, der angeblich in der einzigen Kirche der Stadt noch Dienst tat, mit seiner Nichte dauerkoitierte. Dort, in Flandern, Seeland und Brabant gewann Tanchelm ein großes Gefolge, wohl mehr aus den unteren Schichten, Christen, die sein Badewasser tranken. Er umgab sich mit einer Leibgarde, schimpfte die Kirche ein Bordell, verteufelte den verkommenen Klerus, die Hierarchie, Sakramente, die Zehntforderung, verlangte eine arme Geistlichkeit und wurde 1115 von einem Priester erschlagen. Darauf stellten der hl. Norbert (VI Register), zeitweise selbst Wanderprediger, er aber »wunderwirkend und friedenstiftend« (Elm), und der hl. Evermod, »Apostel der Wenden«, die »kirchliche Ordnung« wieder her. Und »der selige Waltmann vollendete die Ausrottung der Irrlehre in Antwerpen« (Lexikon für Theologie und Kirche).
Um 1115, als man Tanchelm erschlug, verkündeten zwei Bauern aus der Gegend von Soissons, Clemens und Ebrard, eine Lehre, die bogomilischen Einfluß verrät. Sie lebten streng asketisch, propagierten die vita apostolica, freilich auch den Doketismus, wonach Christus nur scheinbar Mensch war, Brot und Wein nicht wirklich sein Leib sind, sein Blut, und erkannten so anschaulich wie zutreffend und zeitenübergreifend, daß der Mund des Priesters der Schlund der Hölle sei. Man schleppte sie aus dem Kerker vor die Stadt und verbrannte
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