Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
sondern die Ausübung jeder Macht, da jede irdische Macht für sie vom Teufel stammte, was ja vieles für sich hat, viel mehr als das Gegenteil, die paulinische Obrigkeitslehre. Und mochten auch ihre Gläubigen, etwa das Kriegsvolk der mit ihnen sympathisierenden Grafen von Toulouse oder von Foix, kirchliche Besitzungen plündern und verbrennen, nie wurde Derartiges vom katharischen Klerus veranlaßt oder gebilligt.
Von dieser Elite ging darum auch die besondere Faszination der Bewegung, ihre eigentliche Zugkraft aus. Die Masse des Anhangs bildeten meist Bauern, die ihre Führer hoch verehrten, fast für Heilige hielten, selbst auch erlöst werden wollten, jedoch wie bisher lebten, mit einer ganz kommoden, zumal Südländern angepaßten Moral, die auch ihre Ehen führten, Fehden, Kriege, die gelegentlich sogar reich und staatliche Funktionsträger waren. Vor den Pogromen zogen ihre Seelsorger stets schwarz gewandet und zu zweit umher, von den »credentes« durch das »melioramentum«, einen Ehrenerweis, ausgezeichnet. Auch Frauen durften predigen und theologische Fragen diskutieren. Die »Vollkommene« war dem »Vollkommenen« gleichgestellt. Man lebte in klosterähnlichen Gebäuden, in Männer- und Frauenhäusern. Alle beteten viel, besonders das Hauptgebet, das Vaterunser.
Aber – ist das nicht schon eine Entwicklung alla cattolica? Kam es da nicht, trotz vielleicht geringerer gesellschaftlicher Unterschiede, gleichfalls zu einer Klassengesellschaft und Hierarchie? Scheint es doch in den Konventen soziale Differenzierungen gegeben zu haben, zwischen Handwerkern etwa und wohlhabenden Bürgern. Und diese sowie alteingesessene Adelskreise nahmen zumindest in der Blütezeit des Katharertums führende Positionen ein – während der erste Mailänder Katharerbischof, Markus, ein bis Südfrankreich angesehener Totengräber war. Auch blieben die »Vollkommenen«, wie der römische Klerus, von manchen Abgaben befreit und bekamen beim Tod ihrer Gläubigen gewisse Sachwerte. Auch war die katharische Kirche, deren perfecti die materielle Welt ja so verdammten, bereits im beginnenden 13. Jahrhundert durch Schenkungen reich geworden, verfügte sie »tatsächlich über beträchtliches Geldvermögen, das bewahrt und zielstrebig erweitert wurde« (Werner/Erbstößer). Man verwandte es zum Schutz vor Verfolgung, zur Fluchtfinanzierung, Informationsbeschaffung, zum Freikauf gefangener Katharer.
Einig waren sich alle in der Verdammung der katholischen Kirche, ihrer nie versiegenden Machtsucht und der moralischen Verrottung ihrer Pfaffen. Ihnen riefen die Katharer in öffentlichen Disputationen zu, man finde im ganzen Neuen Testament keine einzige Stelle, »die von den Priestern verlange, üppiger als Fürsten zu leben ...«. Denn mochte auch die katharische Theologie kaum eine echte Provokation für den dogmatisch geschulten großkirchlichen Klerus sein, mochte auch keiner der seinerzeitigen »Ketzer«-Führer, auch wenn sie oft aus Mönchskreisen kamen, entfernt sich vergleichen können mit den klassischen Häresiarchen der Antike – ausschlaggebend war der für jedermann evidente Kontrast zwischen der evangelischen Lehre, der apostolischen Armut und dem Reichtum der Ekklesia, der Habgier und Brutalität ihrer Geistlichkeit, zumal der hohen. »Viele Bischöfe besuchten ihre Diözesen nur noch, um willkürlich auferlegte Kirchensteuern einzuziehen, und hielten sich zu diesem Zweck eine Armee von Wegelagerern. Die Unordnung unter der Priesterschaft war unbeschreiblich. Man kämpfte und exkommunizierte sich gegenseitig« (Rahn). Doch geschah es auch, daß kranke Bischöfe von Katharern sich pflegen und »trösten« ließen, daß ganze Klöster zu ihnen übertraten.
Kurz, der Fortschritt der Häresie und die daraus resultierende Bedrohung des katholischen Klerus gehen in erster Linie auf diesen selbst zurück, was uns dankenswerterweise das spätmittelalterliche Papsttum sogar bestätigt. So attestiert Honorius III. den Priestern, »sie sind zum Verderbnis geworden und Fallstrick den Völkern«, gesteht Alexander IV., »daß das Volk, anstatt gebessert zu werden, durch die Geistlichen vollständig verdorben wird«. »Sie verfaulen wie das Vieh im Miste«, abermals ein goldenes. Papstwort aus dem 13. Jahrhundert, in dem auch kein Geringerer als Innozenz III. vor dem Laterankonzil 1215 klagt: »Die Verderbnis des Volkes hat ihre Hauptquelle in dem Klerus. Hieraus entspringen die Übel des Christentums: der Glaube schwindet, die
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