Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
zwischen Russland und Österreich sowie die »Wiederherstellung des alten griechischen Reiches« mit Konstantinopel als Hauptstadt vor. Im Jahr 1781 sprach Katharina mit dem österreichischen Kaiser Joseph II . über das Projekt, und in ihrer Korrespondenz im Lauf des folgenden Jahres waren sie sich über dessen Wünschbarkeit einig. Ob sie jedoch beabsichtigten, den Plan durchzuführen, ist ungewiss. Manche Historiker gelangten zu dem Schluss, dass das griechische Projekt allenfalls ein Bestandteil der neoklassischen Ikonografie, also politisches Theater, gewesen sei, ähnlich wie die »Potemkinschen Dörfer«, die keine reale Rolle in der Außenpolitik Russlands spielten. Aber selbst wenn es keinen unmittelbaren Aktionsplan gab, scheint kaum ein Zweifel daran zu bestehen, dass sich das Projekt in Katharinas allgemeine Zielsetzung einfügte: Das Russische Reich sollte zu einer Schwarzmeermacht werden, die durch Handel und Religion mit der orthodoxen Welt des östlichen Mittelmeers, einschließlich Jerusalems, verbunden war. Laut Katharinas Lieblingsdichter Gawriil Derschawin, der unter ihrer Herrschaft auch einer der wichtigsten Staatsmänner Russlands war, zielte das griechische Projekt darauf ab,
Durch einen Kreuzzug fortzuschreiten,
Den Fluss Jordan zu reinigen,
Das Heilige Grab zu befreien,
Athen den Athenern zurückzugeben,
Konstantinopel an Konstantin,
Und Japhets Heiliges Land wiederherzustellen. *
»Ode auf den Sturm von Ismael«
Es war gewiss nicht nur politisches Theater, als Katharina und Joseph, begleitet von einer großen internationalen Gefolgschaft, die Schwarzmeerhäfen besichtigten. Die Zarin besuchte die Baustellen neuer russischer Städte und Militärstützpunkte, wobei sie durch Bogengänge fuhr, die Potemkin ihr zu Ehren errichten und mit den Worten »Die Straße nach Byzanz« beschriften ließ. 16 Ihre Reise war als Absichtserklärung gedacht.
Katharina war der Ansicht, dass Russland sich nach Süden wenden müsse, wenn es eine Großmacht sein wolle. Es genüge nicht, wie in den Tagen des mittelalterlichen Moskauer Staates Pelze und Bauholz über die Ostseehäfen zu exportieren. Um sich mit den europäischen Mächten messen zu können, müsse es Absatzmärkte für die Agrarprodukte seiner fruchtbaren südlichen Gebiete entwickeln und eine Flottenpräsenz in den Warmwasserhäfen des Schwarzen Meeres aufbauen, von denen seine Schiffe das Mittelmeer erreichen konnten. Wegen der eigentümlichen Geografie Russlands war das Schwarze Meer nicht nur für die militärische Verteidigung des Russischen Reiches an seiner Südgrenze mit der muslimischen Welt, sondern auch für seine Lebensfähigkeit als einflussreiche Macht auf dem europäischen Kontinent von wesentlicher Bedeutung. Ohne das Schwarze Meer besaß Russland keinen Seezugang zu Europa mit Ausnahme der Ostsee, die im Fall eines Konflikts mühelos von den anderen nördlichen Mächten blockiert werden konnte (wie es die Briten während des Krimkriegs tatsächlich tun sollten).
Der Plan, Russland als südliche Macht zu entwickeln, hatte 1776 ernsthaft Gestalt anzunehmen begonnen, als die Zarin Potemkin beauftragte, Neurussland ( Noworossija ) zu kolonisieren. Damit waren die spärlich bevölkerten Territorien an der Nordküste des Schwarzen Meeres gemeint, welche die Russen den Osmanen kurz zuvor abgerungen hatten. Sie ließ ihren Adligen ausgedehnte Landstriche zukommen und lud europäische Kolonisten (Deutsche, Polen, Italiener, Griechen, Bulgaren und Serben) ein, die Steppengebiete landwirtschaftlich zu erschließen. Dort errichtete man neue Städte – Jekaterinoslaw, Cherson, Nikolajew und Odessa – , viele davon im französischen und italienischen Rokokostil. Potemkin persönlich beaufsichtigte den Bau von Jekaterinoslaw (»Katharinas Ruhm«), dem heutigen Dnipropetrowsk. Als ein griechisch-römisches Fantasiegebilde sollte es das klassische Vermächtnis symbolisieren, das er und die Anhänger des griechischen Projekts für Russland ins Auge gefasst hatten. Er ersann grandiose neoklassische Gebäude, von denen die meisten nie zustande kamen, etwa Läden, »errichtet in einem Halbkreis wie die Propyläen beziehungsweise das Eingangstor von Athen«, eine Statthalterresidenz im »griechischen und römischen Stil«, Gerichtsgebäude in Form »alter Basiliken« und eine Kathedrale, eine Art »Nachahmung von St. Paul vor den Mauern«, wie er in einem Brief an Katharina erklärte. Es sei ein »Zeichen dafür, dass dieses Gebiet dank Eurer
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