Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
heute auszeichnen, oder ihr alle seid Schurken. Wenn einer von euch heute zurückbleibt, werde ich ihm mein Schwert in den Bauch jagen. Reiht euch nach rechts auf!« Im russischen Lager waren die Männer ebenfalls im Morgengrauen aufgestanden und hörten den Reden ihrer Kommandeure zu: »Also, Leute, der Augenblick ist endlich gekommen, obwohl wir lange darauf warten mussten; wir werden unser russisches Land nicht entehren; wir werden den Feind zurücktreiben und unseren guten Vater, Batjuschka den Zaren, erfreuen; dann können wir mit den Lorbeeren, die wir verdient haben, in unsere Heime zurückkehren.« Um sieben Uhr wurde im russischen Lager zur Mutter Gottes gebetet, damit sie gegen den Feind Hilfe leiste. Priester trugen Ikonen durch die Reihen, während sich Soldaten tief verneigten und im Gebet bekreuzigten. 17
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Kurz darauf versammelten sich die alliierten Heere auf der Ebene, die Briten zur Linken der Sewastopoler Straße, die Franzosen und Türken zur Rechten, bis hin zu den Küstenfelsen. Es war ein klarer, sonniger Tag mit lauer Luft. Vom Telegrafenhügel aus, wo Menschikows elegant gekleidete Zuschauer in Kutschen eingetroffen waren, um sich das Drama anzusehen, waren Details der britischen und französischen Uniformen gut zu erkennen; auch konnten sie die Trommeln, Signalhörner und Dudelsäcke und sogar das Klirren von Metall und das Wiehern der Pferde hören. 18
Die Russen eröffneten das Feuer, als sich die Alliierten auf 1800 Meter genähert hatten – die Stelle war mit Stangen markiert, damit die Kanoniere wussten, dass sich die vorrückenden Soldaten in Schussweite befanden – , aber die Briten und Franzosen marschierten weiterhin auf den Fluss zu. Nach dem Plan, auf den sich die Alliierten am Vortag geeinigt hatten, würden die beiden Heere gleichzeitig auf breiter Front vorrücken und versuchen, die Flanke des Feindes zur Linken, also landeinwärts, aufzurollen. Doch im letzten Moment beschloss Raglan, den britischen Vormarsch zu verzögern, bis die Franzosen auf der rechten Seite durchgebrochen waren. Er befahl seinen Soldaten, sich in Reichweite der russischen Geschütze auf den Boden zu legen, damit sie, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, zum Fluss laufen konnten. Sie blieben anderthalb Stunden lang, von 13.15 bis 14.45 Uhr, liegen und verloren Männer, da sich die russischen Kanoniere allmählich einschossen. Es war ein erstaunliches Beispiel für Raglans Unschlüssigkeit. 19
Während die Briten auf dem Boden lagen, erreichte Bosquets Division den Fluss unweit des Meeres, wo die Felsen so steil, fast 50 Meter, anstiegen, dass Menschikow es für unnötig gehalten hatte, die Position mit Artillerie zu verteidigen. An der Spitze von Bosquets Division war ein Regiment Zuaven, hauptsächlich aus Nordafrika, die in Algerien Erfahrung mit Gebirgskämpfen gesammelt hatten. Sie ließen ihre Rucksäcke am Ufer zurück, schwammen durch den Fluss und kletterten unter dem dichten Schutz der Bäume die Klippen hinauf. Die Russen waren erstaunt über die Behändigkeit der Zuaven und verglichen sie mit Affen, da sie die Bäume nutzen konnten, um die Felsen zu erklimmen. Auf dem Plateau versteckten sich die Zuaven hinter Steinen und Büschen, um die Verteidiger vom Moskauer Regiment einen nach dem anderen abzuschießen, bis ihre eigenen Verstärkungen eintrafen. »Die Zuaven waren so gut versteckt«, erinnerte sich Noir, der die Anhöhe als einer der Ersten erreichte, »dass ein gut ausgebildeter Offizier, der den Schauplatz betrat, kaum in der Lage gewesen wäre, sie mit eigenen Augen zu entdecken.« Dem Beispiel der Zuaven folgend, kletterten weitere französische Soldaten die Klippen hinauf. Sie zogen zwölf Geschütze durch eine Schlucht nach oben – die Männer schlugen ihre Pferde mit Schwertern, wenn die Tiere sich weigerten, den felsigen Pfad hinaufzusteigen – und trafen gerade rechtzeitig ein, um die zusätzlichen Infanteristen und Artilleristen abzuwehren, die Menschikow bei dem verzweifelten Versuch, seine linke Flanke nicht aufrollen zu lassen, aus dem Zentrum herangezogen hatte. 20
Die Lage der Russen war so gut wie hoffnungslos. Als ihre Artillerie erschien, hatten Bosquets gesamte Division und viele Türken bereits das Plateau erklommen. Die Russen besaßen mehr Geschütze – 28, verglichen mit 12 der Franzosen – , doch die französischen Waffen hatten ein größeres Kaliber und eine größere Reichweite. Außerdem hielten Bosquets Gewehrschützen die russischen
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