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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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so lange halten werde – , um kostbare Zeit zu gewinnen, in der man die Befestigung von Sewastopol verstärken und den Feldzug in den Winter, die beste Waffe der Russen gegen die Angreifer, verlagern konnte. Viele Offiziere waren siegessicher. Sie scherzten darüber, dass die Briten nur dazu taugten, gegen »Wilde« in ihren Kolonien zu kämpfen, brachten Trinksprüche zum Gedenken an 1812 aus und sprachen davon, die Franzosen zurück ins Meer zu treiben. Menschikow hatte so wenig Zweifel, dass er Gruppen von Sewastopoler Damen einlud, sich die Schlacht zusammen mit ihm von den Alma-Höhen anzuschauen. 13
    Die russischen Soldaten waren nicht so selbstbewusst. Ferdinand Pflug, ein deutscher Arzt in der Armee des Zaren, meinte: »Alle schienen überzeugt zu sein, dass die Schlacht am folgenden Tag mit einer Niederlage enden würde.« 14 Kaum einer der Männer hatte je gegen die Armee einer europäischen Großmacht gekämpft. Der Anblick der gewaltigen alliierten Flotte, die unmittelbar vor der Küste lag und bereit war, die Landstreitkräfte des Feindes mit ihren schweren Kanonen zu unterstützen, machte ihnen deutlich, dass sie es mit einem überlegenen Gegner zu tun hatten. Während sich die meisten ihrer hohen Offiziere an die Kriege gegen Napoleon erinnerten, konnten die jüngeren Männer, die tatsächlich in die Kämpfe verwickelt sein würden, nicht auf solche Erfahrungen zurückgreifen.
    Wie alle Soldaten am Vorabend einer großen Schlacht versuchten sie, ihre Furcht vor den Kameraden zu verbergen. Als die Tageshitze von der Kälte des Abends verdrängt wurde, bereiteten sich die Männer beider Heere auf den Morgen vor. Für viele würden dies die letzten Stunden sein. Sie zündeten Feuer an, kochten sich ihr Essen und warteten. Die meisten nahmen wenig zu sich. Manche widmeten sich dem Ritual, ihre Musketen zu reinigen, andere schrieben Briefe nach Hause, viele beteten. Der folgende Tag war das Datum, an dem man nach dem orthodoxen Kalender die Geburt der Heiligen Jungfrau feierte; Gottesdienste wurden abgehalten, in denen man ihren Segen erbat. Gruppen von Soldaten saßen an den Feuern und unterhielten sich bis spät in die Nacht. Die älteren erzählten den jüngeren Geschichten über vergangene Schlachten. Man trank und rauchte, scherzte und versuchte, ruhig zu wirken. Hin und wieder trieben die Klänge von Gesang über die Ebene hinweg. Von der Sewastopoler Straße her, wo Menschikow sein Zelt hatte aufschlagen lassen, waren das Orchester und der Chor des Tarutiner-Regiments zu hören. Tiefe Bässe sangen die Zeilen eines von General Gortschakow komponierten Liedes:
    Er allein ist wert des Lebens,
    Der stets bereit zu sterben;
    Der rechtgläubige russische Krieger
    Schlägt stracks auf den Feind ein.
    Die Franzosen, die Engländer – na und?
    Und die dummen türkischen Reihen?
    Kommt schon, ihr Ungläubigen,
    Wir fordern euch zum Kampf heraus!
    Wir fordern euch zum Kampf heraus!
    Allmählich füllte sich der dunkle Himmel mit Sternen, die Feuer erstarben, und das Summen der Gespräche wurde leiser. Die Männer legten sich hin, versuchten – meist vergebens – zu schlafen, und ein gespenstisches Schweigen, durchbrochen nur vom Bellen hungriger, durch das verlassene Dorf streifender Hunde, breitete sich im Tal aus. 15
    Um drei Uhr konnte Chodasiewicz nicht mehr schlafen. Es war noch dunkel. Im russischen Lager hatten sich die Soldaten »um die riesigen Feuer versammelt, die mit der Beute aus dem Dorf Burljuk angezündet worden waren«.
    Nach kurzer Zeit stieg ich den Hügel hinauf (denn unser Bataillon war in einer Schlucht stationiert), um einen Blick auf das Feldlager der alliierten Heere zu werfen. Doch kaum etwas außer den Feuern – und hin und wieder einem dunklen Schatten, wenn jemand an ihnen vorbeiging – war zu sehen. Die Stille barg wenig Anzeichen des kommenden Haders. Beide Armeen lagen sozusagen Seite an Seite. Wie viele – oder welche – zu ihrer letzten Ruhe geschickt werden würden, war nicht zu beantworten. Unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf, ob ich einer von ihnen sein würde. 16
    Um vier Uhr rührte sich das französische Lager. Die Männer kochten ihren Kaffee und witzelten über die Prügel, die sie den Russen verabreichen würden. Dann erging der Befehl, die Rucksäcke zu schultern und Aufstellung zu nehmen, um den Befehlen der Offiziere zu lauschen. »Zum Donnerwetter!«, begann der Hauptmann des 22. Regiments. »Sind wir Franzosen oder nicht? Das 22. wird sich

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