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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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»kaltblütige Grausamkeiten an den unglücklichen Dorfbewohnern rund um Balaklawa begingen; sie schnitten den Männern die Kehle durch und räumten ihre Hütten aus«. Lucans Türkischdolmetscher John Blunt hielt die Anklagen für ungerechtfertigt, und wenn es zu Plündereien gekommen sei, dann durch die »unbestimmten Mengen von Angehörigen des Trosses, die am … Schlachtfeld herumlungerten«. Für den Rest des Feldzugs wurden die Türken erbärmlich behandelt. Britische Soldaten schlugen, beschimpften, bespuckten und verhöhnten sie routinemäßig und ließen sich manchmal sogar von ihnen »mit ihren Bündeln auf dem Rücken über die Tümpel und den Morast auf der Straße nach Balaklawa tragen«, wie Blunt bezeugte. Die Türken, in den Augen der Briten kaum besser als Sklaven, mussten Schützengräben ausheben und schwere Lasten zwischen Balaklawa und den Anhöhen von Sewastopol hin und her befördern. Da ihre Religion den Verzehr britischer Heeresrationen weitgehend verbot, hatten sie nie genug zu essen. In ihrer Verzweiflung begannen einige von ihnen zu stehlen, wofür ihre britischen Gebieter ihnen viel mehr als das Maximum von 45 Peitschenschlägen verabreichten, das für die Soldaten der Königin zulässig war. Von den 4000 Türken, die am 25. Oktober bei Balaklawa kämpften, sollte die Hälfte bis Ende 1854 an Unterernährung sterben, und etliche der Übrigen wurden zu schwach für den aktiven Dienst. Gleichwohl benahmen die Türken sich würdevoll, und zumindest Blunt war »sehr beeindruckt von der Nachsicht, mit der sie ihre schlechte Behandlung und ihr Leid hinnahmen«. Rustem Pascha, der ägyptische Offizier, der die türkischen Soldaten in Balaklawa befehligte, empfahl ihnen, »geduldig und ergeben zu sein und nicht zu vergessen, dass die Engländer die Gäste ihres Sultans seien und für die Bewahrung des Osmanischen Reiches kämpften«. 34
    Die Russen feierten Balaklawa als Sieg, und die Einnahme der Redouten auf den Causeway-Höhen war unzweifelhaft ein taktischer Erfolg. Am nächsten Tag hielt man in Sewastopol einen orthodoxen Dankgottesdienst ab und zog die britischen Kanonen im Triumph durch die Stadt. Die Russen hatten nun eine beherrschende Position inne, von der sie die britischen Nachschublinien zwischen Balaklawa und den Anhöhen von Sewastopol angreifen konnten; die Briten waren auf ihre innere Verteidigungslinie auf den Hügeln um Kadikoi beschränkt. Russische Soldaten marschierten mit Trophäen vom Schlachtfeld – britischen Mänteln, Schwertern, Uniformröcken, Tschakos, Stiefeln und Kavalleriepferden – durch Sewastopol, und die Moral der Garnison wurde durch den Sieg schlagartig gestärkt. Zum ersten Mal seit der Niederlage an der Alma hatten die Russen das Gefühl, den alliierten Armeen auf offenem Schlachtfeld ebenbürtig zu sein.
    Der Zar erfuhr am 31. Oktober, als der Morgenkurier aus Sewastopol eintraf, in seinem Palast in Gattschina von dem mutmaßlichen Sieg. Anna Tjutschewa, die sich mit der Kaiserin im Festsaal ein Beethoven-Konzert anhörte, schrieb später am selben Tag in ihrem Tagebuch:
    Die Nachricht hat uns alle beflügelt. Der Zar, der zur Kaiserin kam, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen, war so gerührt, dass er sich in unser aller Gegenwart vor den heiligen Ikonen auf die Knie warf und in Tränen ausbrach. Die Kaiserin und ihre Tochter Maria Nikolajewna dachten, die schreckliche Unruhe des Zaren zeige den Fall von Sewastopol an, und fielen ebenfalls auf die Knie, doch er besänftigte sie, überbrachte allen die freudige Nachricht und befahl, sofort einen Dankgottesdienst abzuhalten, dem der gesamte Hof beiwohnte. 35
    * * *
    Ermutigt durch ihren Erfolg bei Balaklawa, unternahmen die Russen am folgenden Tag einen Angriff auf die rechte Flanke der britischen Armee am Kosakenberg, einem 2,5 Kilometer langen, keilförmigen Kamm mit wogenden Hochebenen, der zwischen dem Ostteil von Sewastopol und der Tschornaja-Mündung von Norden nach Süden verlief. Die Briten bezeichneten ihn als Mount Inkerman. Am 26. Oktober marschierten 5000 russische Soldaten unter Oberst Fjodorow ostwärts aus Sewastopol hinaus, bogen rechts ab, um den Kosakenberg zu besteigen, und fielen über die arglosen Männer von de Lacy Evans’ 2. Division her, die am Südende des Hochlands an einer Stelle namens Heimatkamm lagerten, wo die Hänge steil in die Ebene von Balaklawa hinabfielen. Evans standen nur 2600 Soldaten zur Verfügung, da der Rest der Division anderswo Schützengräben aushob, doch

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