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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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abzuschneiden. Aber den Ulanen war nicht nach einem Gefecht mit der beherzten Leichten Brigade zumute, die, wie sie gesehen hatten, gerade durch den russischen Kugelhagel hindurchgejagt war und die Kosaken zu einer panischen Flucht gezwungen hatte. Deshalb griffen sie nur kleine Gruppen von Verwundeten an und ließen größere Scharen in Ruhe. Als sich die zurückweichende Kolonne der 8. Husaren und des 4. Regiments Leichter Dragoner den Ulanen näherte, bemerkte Lord George Paget, der Befehlshaber der Leichten Dragoner, der seine Leute vor dem Rückzug gesammelt hatte, dass die Ulanen »irgendwie auf uns zutrabten«.
    Dann stoppten die Ulanen (»hielten an« ist kaum die richtige Bezeichnung) und zeigten die gleiche Fassungslosigkeit (mir fällt kein anderes Wort ein), die ich an diesem Tag schon zweimal zuvor erlebt hatte. Ein paar Männer an der rechten Flanke ihrer führenden Schwadronen … kollidierten kurz mit unserer eigenen rechten Flanke, doch sonst taten sie nichts und ließen sogar zu, dass wir uns in kaum einer Pferdelänge Entfernung an ihnen vorbeischoben. Also, ich glaube, dass wir dabei keinen einzigen Mann verloren. Wie, weiß ich nicht! Es ist mir ein Rätsel! Hätte jene Streitmacht aus englischen Ladys bestanden, wäre wohl keiner von uns entkommen. 31
    In Wirklichkeit hielten sich die englischen Ladys mit all den anderen Zuschauern auf den Sapun-Höhen auf und sahen zu, wie die Reste der Leichten Brigade einzeln oder zu zweit, in vielen Fällen mit Verwundungen, nach der Attacke zurücktaumelten. Unter den Frauen war Fanny Duberly, welche das Schauspiel nicht nur entsetzt beobachtete, sondern später am Nachmittag mit ihrem Mann hinausritt, um das Blutbad auf dem Schlachtfeld genauer zu betrachten:
    An der Szene des Morgens ritten wir langsam vorbei. Wir waren umgeben von zahllosen toten und sterbenden Pferden; in meiner Nähe lag ein russischer Soldat – sehr still – auf dem Gesicht. In einem Weingarten ein wenig rechts von mir war ein türkischer Soldat, ebenfalls tot, ausgestreckt. Die Pferde, zumeist tot, waren alle ungesattelt, und das Verhalten mancher ließ extremen Schmerz erkennen … Und dann die verwundeten Soldaten, die zu den Hügeln krochen! 32
    Von den 661 Soldaten, welche die Attacke begannen, wurden 113 getötet, 134 verwundet und 45 gefangen genommen; 362 Pferde gingen verloren oder starben. Die Zahl der Verluste war nicht viel höher als die der russischen Seite (180 Tote und Verwundete – fast alle in den beiden ersten Verteidigungslinien) und weit niedriger als die von der britischen Presse gemeldeten Details. Die Times berichtete, dass 800 Kavalleristen in die Gefechte verwickelt gewesen und nur 200 zurückgekehrt seien; laut Illustrated London News hatten nur 163 Mann den Angriff unversehrt überstanden. Aus solchen Berichten ging die sich rasch verbreitende Version von einer tragischen »Fehlleistung« hervor, die durch heroische Opfer ausgeglichen worden sei. Dieser Mythos verfestigte sich durch Alfred Tennysons berühmtes Gedicht »Der Angriff der Leichten Brigade«, das bereits zwei Monate nach dem Ereignis erschien.
    Leichte Brigade, der Siegespreis
    Ist heute hoch, ist heute heiß,
    Aber kein Murren, nicht laut und nicht leis,
    Keines obwohlen ein jeder weiß,
    ’s ward irgendwo geblundert,
    Vorwärts; sie fragen und zagen nicht,
    Vorwärts; sie wanken und schwanken nicht,
    Vorwärts, gehorchen ist einzige Pflicht,
    Ins Todesthal,
    In voller Zahl,
    Reiten die Sechshundert.
    Im Gegensatz zu dem Mythos von einer »glorreichen Katastrophe« aber war der Angriff trotz der schweren Verluste in gewisser Hinsicht ein Erfolg. Der Zweck einer Kavallerieattacke bestand darin, die Reihen des Feindes zu zerstreuen und ihn vom Schlachtfeld zu verjagen, und in dieser Beziehung hatte die Leichte Brigade, wie die Russen einräumten, ihr Ziel erreicht. Die wirkliche Fehlleistung der Briten in Balaklawa war weniger der Angriff der Leichten Brigade als ihr Versäumnis, die russische Kavallerie zu verfolgen und den Rest von Liprandis Armee zu vernichten, sobald die Schwere Brigade sie in die Flucht geschlagen und die Leichte Brigade sie eingeholt hatte. 33
    Die Briten machten die Türken für ihre Niederlage bei Balaklawa verantwortlich und warfen ihnen Feigheit vor, weil sie die Redouten verlassen hätten. Später behaupteten sie auch, die Türken hätten Eigentum geplündert – nicht nur von der britischen Kavallerie, sondern auch aus nahegelegenen Siedlungen, wo sie angeblich

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