Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
gering an Zahl, um all ihre Positionen schützen zu können; ihre Linie war stark überdehnt, und sie hätten keinen allgemeinen Angriff zurückschlagen können, wäre er an mehreren Punkten zugleich geführt worden. In der ersten Novemberwoche war die britische Infanterie erschöpft. Seit ihrer Landung auf der Krim hatten die Männer kaum eine Ruhepause gehabt, wie der Gemeine Henry Smith im Februar 1855 in einem Brief an seine Eltern betonte:
Nach der Schlacht an der Alma und dem Marsch nach Balaklawa mussten wir uns am 24. September sofort an die Arbeit machen. Unterdessen erhielten wir von 24 nie mehr als 4 Stunden Schlaf, und sehr häufig hatten wir nicht einmal die Möglichkeit, eine Büchse Kaffee zu kochen, bevor wir irgendeine andere Pflicht erfüllen mussten. Die Belagerung begann am 14. Oktober, und obwohl Granaten und Kugeln wie Hagel vom Himmel fielen, waren wir nach der schrecklichen Ermattung, die wir hatten durchmachen müssen, so unbekümmert, dass wir uns sogar am Kanonenrohr hinlegten und schliefen … Häufig verbrachten wir 24 Stunden in den Gräben, und ich glaube nicht, dass es auch nur in einer Stunde von 24 trocken war. Deshalb waren wir nass bis auf die Haut und sogar bis zu den Schultern mit Schlamm bedeckt, wenn wir ins Lager kamen, und in diesem Zustand mussten wir zur Inkerman-Schlacht marschieren, ohne auch nur ein Stück Brot oder einen Schluck Wasser zur Befriedigung von Hunger und Durst erhalten zu haben. 40
Menschikows Plan war eine ehrgeizigere Version des Ausfalls vom 26. Oktober (diese Generalprobe wurde später als »Kleiner Inkerman« bekannt). Am Nachmittag des 4. November, nur ein paar Stunden nach der Ankunft des 4. Korps aus Bessarabien, befahl er den Beginn der Offensive für 6 Uhr am folgenden Morgen. Soimonow sollte eine Streitmacht von 19 000 Mann und 38 Geschützen die gleiche Route wie am 26. Oktober entlangführen. Nach der Eroberung des Granatenhügels sollten sich ihnen Pawlows Truppen (16 000 Mann und 96 Geschütze) anschließen; diese würden den Fluss Tschornaja überqueren und von der Inkerman-Brücke her die Hügel erklimmen. Unter General Dannenberg, der zu diesem Zeitpunkt das Kommando übernehmen sollte, würden die vereinten Kräfte die Briten vom Mount Inkerman hinuntertreiben, während Liprandis Armee Bosquets Korps auf den Sapun-Höhen ablenken sollte.
Der Plan setzte ein hohes Maß an Abstimmung zwischen den Angriffseinheiten voraus, was im Zeitalter vor dem Funk von jeder Armee zu viel verlangt gewesen wäre, erst recht von den Russen, die keine detaillierten Karten besaßen. ***** Außerdem verlangte er einen Wechsel des Befehlshabers mitten in der Schlacht, womit die Katastrophe vorprogrammiert war, zumal Dannenberg, ein Veteran der Napoleonischen Kriege, für Niederlagen und Unschlüssigkeit bekannt war, die seine Männer wohl kaum inspirieren konnten. Der größte Fehler aber war die Vorstellung, dass eine Streitmacht von 35 000 Mann und 134 Geschützen auf dem schmalen Granatenhügel, einem felsigen Buschland von kaum 300 Meter Breite, einzusetzen sei. Als Dannenberg die Unmöglichkeit des Vorhabens erkannte, änderte er den Schlachtplan in letzter Minute. Am späten Abend des 4. November befahl er Soimonows Männern, den Mount Inkerman nicht wie vorgesehen von Norden her zu besteigen, sondern nach Osten bis zur Inkerman-Brücke zu marschieren, um Pawlow bei seiner Überquerung des Flusses Deckung zu geben. Von der Brücke aus sollten die Angreifer die Hügel aus drei verschiedenen Richtungen hinaufklettern und die Briten von den Flanken her attackieren. Die plötzliche Änderung des Plans war verwirrend genug, aber die Konfusion sollte sich noch steigern. Um drei Uhr morgens bewegte sich Soimonows Kolonne von Sewastopol nach Osten auf den Mount Inkerman zu, als er eine neue Nachricht von Dannenberg erhielt: Nun solle er in die entgegengesetzte Richtung marschieren und von Westen angreifen. Soimonow glaubte, dass eine weitere Planänderung die gesamte Operation gefährden würde, und ignorierte den Befehl. Doch statt sich mit Pawlow an der Brücke zu treffen, kehrte er zu dem von ihm bevorzugten Plan eines Angriffs aus dem Norden zurück. Folglich zogen die drei Befehlshaber mit völlig unterschiedlichen Vorhaben in die Schlacht von Inkerman. 41
Um 5 Uhr morgens hatte Soimonows Vorhut die Anhöhen von Norden her mit 22 Feldgeschützen – und trotzdem leise – bewältigt. In den drei Tagen zuvor hatte es stark geregnet, und die steilen
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