Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
die vorgeschobenen Posten am Granatenhügel hielten die Russen mit ihren Minié-Gewehren auf, während Evans mehr Artillerie heranholte und achtzehn Kanonen außer Sichtweite aufstellen ließ. Die Briten warteten, bis sich die Russen ihrer Artillerie näherten, und zerstreuten sie mit einem vernichtenden Feuer, wonach mehrere hundert Russen tot oder verwundet im Buschwerk vor dem Heimatkamm zurückblieben. 36
Noch mehr Russen wurden gefangen genommen; viele von ihnen ergaben sich oder desertierten zu den Briten. Sie erzählten Entsetzliches über die Verhältnisse in Sewastopol, wo Wassermangel herrschte und die Krankenhäuser mit Opfern der Bombardements und mit Cholerakranken überfüllt waren. Ein deutscher Offizier, der bei den Russen diente, teilte den Briten mit, »dass sie Sewastopol wegen des schändlichen Geruchs in der Stadt hatten verlassen müssen, und seiner Meinung nach werde die Stadt den Briten bald in die Hände fallen, da Tote und Verwundete auf den Straßen lägen«. Laut Godfrey Mosley, dem Zahlmeister des 20. Regiments,
war das Heer, das vor ein paar Tagen aus Sewastopol angriff, … gänzlich betrunken. Die Krankenhäuser rochen ihretwegen so übel, dass man nicht länger als eine Minute dort bleiben konnte. Wir erfuhren von einem Offizier, den man gefangen genommen hatte, dass den Männern Wein verabreicht worden war, um sie in die richtige Stimmung zu bringen. Danach fragte man sie, wer hinausgehen und die englischen Hunde ins Meer treiben wolle. Aber stattdessen trieben wir sie zurück in die Stadt, wobei sie in sehr kurzer Zeit ungefähr 700 Mann verloren. Derselbe Offizier sagte uns, wir hätten bei unserem Eintreffen leicht in die Stadt gelangen können, doch nun würden wir einige Schwierigkeiten haben. 37
Im Grunde war der Angriff der Russen nur eine intensive Aufklärungsaktion für einen großen neuen Sturm auf die britischen Truppen bei Inkerman. Die Initiative ging vom Zaren aus, der von Napoleons Absicht erfahren hatte, mehr Streitkräfte zur Krim zu schicken. Nikolaus meinte, Menschikow solle seine zahlenmäßige Überlegenheit nutzen, um die Belagerung so bald wie möglich zu durchbrechen, also bevor die französischen Verstärkungen eintrafen, oder um die Alliierten wenigstens so lange zurückzuhalten, bis der Winter die Russen rettete. (»Ich habe zwei Generale, die mich nicht im Stich lassen werden: General Januar und General Februar«, erklärte Nikolaus unter Berufung auf das alte Klischee von 1812.) Am 4. November hatten die Russen durch zwei Infanteriedivisionen des 4. Korps aus Bessarabien, die 10. Division unter Generalleutnant Soimonow und die 11. unter Generalleutnant Pawlow, Verstärkung erhalten, womit Menschikow über insgesamt 107 000 Mann verfügte, die Matrosen nicht mitgerechnet. Zuerst hatte Menschikow eine neue Offensive abgelehnt (er war immer noch geneigt, Sewastopol dem Feind zu überlassen), doch der Zar war unnachgiebig und entsandte sogar seine Söhne, die Großfürsten Michail und Nikolai, um die Soldaten zu ermutigen und seinen Willen durchzusetzen. Unter Druck erklärte Menschikow sich zu einem Angriff bereit, zumal er die Briten für weniger beeindruckende Gegner als die Franzosen hielt. Wenn sich die Russen mit Geschützbatterien auf dem Mount Inkerman festsetzen konnten, würden die alliierten Belagerungslinien zur Rechten von hinten unter Feuer geraten, und falls die Alliierten die Anhöhen nicht zurückeroberten, würden sie die Belagerung aufgeben müssen. 38
Trotz der hohen russischen Verluste hatte ihr Ausfall vom 26. Oktober die Schwäche der britischen Verteidigungsstellen auf dem Mount Inkerman bloßgestellt. Raglan war bei mehreren Gelegenheiten von de Lacy Evans und Burgoyne gewarnt worden, dass diese wichtigen Anhöhen verwundbar seien und stärker befestigt werden müssten. Bosquet, der eine Infanteriedivision auf den Sapun-Höhen südlich von Inkerman kommandierte, hatte in fast täglichen Briefen an den britischen Befehlshaber seine eigenen Bedenken hinzugefügt, und Canrobert hatte sogar unmittelbare Hilfe angeboten. Raglan hatte es jedoch unterlassen, die Verteidigung auszubauen, und das sogar nach dem russischen Angriff, als der französische Befehlshaber zu seinem Erstaunen feststellen musste, dass eine »so bedeutende und exponierte Stellung gänzlich durch Befestigungen ungeschützt« geblieben war. 39
Raglans Scheitern beruhte nicht nur auf Nachlässigkeit, sondern auch auf einem kalkulierten Risiko: Die Briten waren zu
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