Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Freiwilliger eine Galeerenflotte zu schaffen. Die Männer sollten von den Grundbesitzern für die Dienstzeit freigestellt werden, vorausgesetzt, sie kehrten danach auf ihre Güter zurück. Das Ergebnis war ein Massenansturm von Bauern auf die nördlichen Häfen. Die Polizei blockierte die Straßen, und Tausende von Bauern wurden eingesperrt, bis man sie aneinandergekettet nach Hause marschieren lassen konnte. Nachdem diese Gerüchte von der Leibeigenenbefreiung um sich gegriffen hatten, wurden spätere Einberufungen genauso interpretiert. Priester, Dorfschreiber und Agitatoren trugen dazu bei, die falsche Vorstellung zu verbreiten. So behauptete ein Diakon in Rjasan den Leibeigenen gegenüber, sie würden, wenn sie sich der Armee anschlössen, acht Silberrubel pro Monat erhalten und nach dreijährigem Militärdienst zusammen mit ihren Familien aus der Leibeigenschaft entlassen werden.
Überall war es die gleiche Geschichte: Die Bauern glaubten, Väterchen Zar habe einen Erlass herausgegeben, in dem ihnen die Freiheit versprochen wurde, wenn sie sich freiwillig meldeten, und sobald sie eines Besseren belehrt wurden, nahmen sie an, dass seine bösen Beamten den Erlass zurückgehalten oder ersetzt hätten. Es ist schwer zu ermitteln, in welchem Maße es sich um einen unschuldigen oder um einen kalkulierten Glauben handelte, in dem sich ihre Hoffnung auf die Abschaffung der Leibeigenschaft ausdrückte. Vielerorts wurden die Gerüchte mit älteren bäuerlichen Vorstellungen von einem »Goldenen Manifest« vermischt, mit dem der Zar die Bauern befreien und alles Land an sie verteilen werde. Beispielsweise erschien eine Gruppe von Bauern in einem Musterungsbüro, nachdem sie gehört hatte, dass der Zar in einer »goldenen Kammer« auf einem Berggipfel auf der Krim sitze: »Er schenkt allen die Freiheit, die zu ihm kommen, aber wer nicht kommt oder sich verspätet, wird der Leibeigene seines Herrn bleiben wie vorher.« In anderen Gebieten erzählte man sich, dass die Engländer und Franzosen sämtliche Leibeigenen, die sich ihnen auf der Krim anschlossen, befreien würden, woraufhin ein Auszug der Bauern nach Süden begann. Für sie war der Süden mit der Erwartung von Land und Freiheit verknüpft, denn seit dem Mittelalter machten sich flüchtige Leibeigene in die südliche Steppe auf. Die Tradition der freien Kosaken war unter der Bauernschaft der südlichen Provinzen noch immer ausgeprägt, wo die Freiwilligenbewegung einen fast revolutionären Charakter annahm. Scharen von Bauern marschierten zu den örtlichen Garnisonen, um zum Militär einzurücken, und weigerten sich, weiter für ihre Grundbesitzer zu arbeiten. Bewaffnet mit Spießen, Messern und Knüppeln, lieferten sich die Bauern Auseinandersetzungen mit Soldaten und Polizisten. 43
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Da es den Russen nicht an Freiwilligen mangelte und sie sämtliche Ressourcen ihres Reiches einsetzen konnten, bot sich ihnen in diesen Wintermonaten eine ideale Gelegenheit, die geschwächten alliierten Armeen auf den gefrorenen Hügeln über Sewastopol anzugreifen und zu vernichten. Aber die Initiative blieb aus. Das russische Oberkommando hatte seit der Niederlage bei Inkerman Autorität und Selbstbewusstsein verloren. Der Zar, der kein Vertrauen mehr zu seinen Befehlshabern hatte, war immer bedrückter geworden, weil er glaubte, der Krieg sei nicht zu gewinnen, und weil er womöglich bedauerte, dass er ihn überhaupt verursacht hatte. Höflinge beschrieben ihn als gebrochenen Mann; er sei krank, erschöpft und deprimiert und seit Anfang des Krieges um zehn Jahre gealtert.
Vielleicht hoffte der Zar immer noch, dass seine bewährten »Generale Januar und Februar« die Briten und Franzosen besiegen würden. Solange diese auf den ungeschützten Hügeln Männer durch Kälte, Krankheit und Hunger verloren, war er zufrieden damit, dass seine Befehlshaber ihre Aktionen auf kleine nächtliche Ausfälle gegen die vorgeschobenen Positionen der Alliierten beschränkten. Diese Ausfälle richteten kaum Schaden an, trugen jedoch zur Erschöpfung der westlichen Soldaten bei. »Unser Zar lässt sie nicht essen oder schlafen«, schrieb ein Kosak seiner Familie am 12. Januar aus Sewastopol. »Es ist nur schade, dass sie nicht alle sterben, damit wir nicht gegen sie kämpfen müssen.« 44
Die Russen hatten Nachschubprobleme, die sie daran hinderten, eine ehrgeizigere Strategie zu entwickeln. Da die alliierten Flotten das Meer kontrollierten, mussten die russischen Heere all ihre Vorräte zu
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