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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Befreiung der Slawen begrüßt und waren enttäuscht, als der Zar den Rückzug von der Donau anordnete. Viele von ihnen forderten Nikolaus auf, allein gegen ganz Europa in den Krieg zu ziehen. Pogodin, der Herausgeber der Moskauer Zeitschrift Moskwitjanin , vertrat infolge des Rückzugs noch extremere panslawistische Ansichten und drängte den Herrscher, jegliche Vorsicht fahren zu lassen und einen Revolutionskrieg für die Befreiung der Slawen nicht nur gegen die Osmanen, sondern auch gegen die Österreicher zu führen. Durch den alliierten Angriff auf Russland wurden die Forderungen nach einem europäischen Krieg zur Realität, und eine Welle patriotischer Gefühle und kämpferischer Ideen erfasste die Gesellschaft. Pogodin erhielt den Segen des Zaren und dadurch Zugang zum Hof sowie die Möglichkeit, dem Herrscher seine Ansichten zur Außenpolitik schriftlich zu übermitteln. Wie viel Einfluss Pogodin auf Nikolaus wirklich hatte, bleibt unklar, doch seine Anwesenheit am Hof ermöglichte der Aristokratie, sich offen zu seinen Ideen zu bekennen. Dazu die Engländerin in St. Petersburg: »Wie sehr der Zar auch bemüht gewesen sein mag, seine Absichten im Hinblick auf die Türkei und Konstantinopel zu verschleiern, machten seine Adligen keine ähnlichen Versuche – und das nicht einmal vor zwei Jahren, lange bevor der Beginn dieses Krieges feststand. › Quant à Constantinople, nous l’aurons, soyez tranquille ‹, ****** sagte ein Aristokrat eines Abends.« 40
    In den liberaleren, prowestlichen Gesellschaftskreisen hatte man freilich weniger für den Krieg übrig, und diejenigen, die Zugang zur ausländischen Presse hatten, kritisierten ihn in der Regel. Sie hielten es nicht für nötig, dass Russland in die Orientalische Frage verwickelt wurde, geschweige denn, dass es sich auf einen potenziell katastrophalen Krieg gegen die Westmächte einließ. »Alle möglichen schmutzigen Machenschaften werden im Namen der heiligen Rus vollführt«, schrieb Fürst Wjasemski, ein Veteran des Kriegs von 1812 gegen die Franzosen sowie ein liberaler Kritiker und Dichter, der zwanzig Jahre im Finanzministerium diente, bevor er 1856 Leiter der Zensurbehörde wurde. »Wie wird alles enden? Meiner bescheidenen Meinung nach … haben wir keine Siegeschance. Ein Bündnis der Engländer mit den Franzosen wird immer stärker sein als wir.« Nach den Berichten der Dritten Abteilung von 1854 lehnten viele Angehörige der gebildeten Schichten den Krieg prinzipiell ab und wollten, dass die Regierung weiter verhandelte, um ihn zu vermeiden. 41
    Die Meinung der unteren Schichten ist nicht so leicht festzustellen. Viele Kaufleute hatten Angst, dass sich ihr Umsatz verringern würde, und standen dem Krieg ablehnend gegenüber. In St. Petersburg notierte die ungenannte Engländerin: »Nicht nur in jeder Straße, sondern in jedem Haus waren Hinweise auf die allgemeine Anspannung zu entdecken; die Geschäfte waren fast zum Stillstand gekommen; kaum einer der Läden wurde von Käufern besucht; alle schienen ihr Geld für den Fall zu sparen, dass sich Armut einstellte.« Die leibeigenen Bauern litten besonders, da junge arbeitsfähige Männer von den Familienhöfen zum Militär eingezogen wurden und da sie gleichzeitig den größten Teil der durch den Krieg gewachsenen Steuerlast tragen mussten. Die Bauernbevölkerung verringerte sich während des Krimkriegs drastisch (in manchen Gegenden um bis zu 6 Prozent). Es kam zu Missernten, unter anderem wegen des schlechten Wetters, aber auch wegen des Mangels an Arbeitskräften und an Zugtieren, welche die Armee beschlagnahmt hatte. Das Problem verschärfte sich durch rund 300 Leibeigenenaufstände oder schwere Unruhen, bei denen man Grundbesitzer angriff und ihr Hab und Gut verbrannte. Die Oberschicht hatte Angst vor einer Revolution, wie die Engländerin schrieb. »Als ich St. Petersburg verließ, vertraten viele den Standpunkt, dass die 80 000 Soldaten … , die auf den Straßen lagerten und in den Häusern untergebracht waren, viel eher dazu dienten, den Frieden innerhalb der Stadtgrenzen zu sichern, als dazu, einen ausländischen Eindringling abzuwehren.« 42
    Manche Bauern sahen den Krieg jedoch auch als Chance. Im Frühjahr 1854 ging in den Landgebieten das Gerücht um, dass man jedem leibeigenen Bauern, der sich freiwillig zur Armee oder Marine meldete, die Freiheit versprochen habe. Das Gerücht rührte von der Entscheidung der Regierung her, in der Ostsee durch Rekrutierung bäuerlicher

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