Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Offensive ablehnte. Nikolaus aber wollte den Angriff nicht abblasen und übergab das Kommando an Wrangels Stellvertreter Generalleutnant Chruljow, einen Artilleristen, den Gortschakow einmal als Mann beschrieb, der »nicht viel im Kopf hat, aber sehr mutig und aktiv ist und genau das tut, was man ihm aufträgt«. Von Menschikow befragt, ob Jewpatorija erobert werden könne, zeigte Chruljow sich zuversichtlich. Seine Streitmacht von 19 000 Mann (mit 24 Kavallerieschwadronen und 108 Geschützen) brach in der Dämmerung des 17. Februar auf. Mittlerweile hegte der Zar Zweifel an der Klugheit des Unternehmens; er dachte, es sei vielleicht besser, die Alliierten landen zu lassen und dann ihre Flanke anzugreifen, wenn sie nach Perekop zogen. Aber es war zu spät, Chruljow aufzuhalten. Die Offensive dauerte drei Stunden. Die Russen wurden mühelos abgewehrt, verloren 1500 Mann und zogen sich über offenes Gelände nach Simferopol zurück. Ohne Obdach starben viele an Erschöpfung und Kälte, und ihre gefrorenen Leichen wurden in der Steppe zurückgelassen.
Als die Nachricht von der Niederlage den Zaren am 24. Februar in St. Petersburg erreichte, war er bereits schwer krank. Seit dem 8. Februar litt er an Grippe, hatte seine täglichen Regierungsgeschäfte jedoch weitergeführt. Am 16. Februar fühlte er sich ein wenig besser, hörte nicht auf den Rat seiner Ärzte und ging ohne Wintermantel bei 23 Grad Kälte hinaus, um die Truppen in St. Petersburg zu inspizieren. Am folgenden Tag verließ er ebenfalls den Palast. Von jenem Abend an wurde sein Gesundheitszustand endgültig immer schlechter. Er bekam eine Lungenentzündung, und die Ärzte konnten Flüssigkeit in seiner Lunge hören, was seinen Leibarzt Dr. Mandt schließlich überzeugte, dass mit einer Genesung nicht zu rechnen sei. Zutiefst erschüttert durch die Niederlage bei Jewpatorija, übergab Nikolaus auf Mandts Rat hin die Regierungsgeschäfte an seinen Sohn, den Zarewitsch Alexander. Er forderte Alexander auf, Chruljow zu entlassen und Menschikow (der inzwischen ebenfalls krank war) als Oberbefehlshaber durch Gortschakow abzulösen. Alle wussten jedoch, dass Nikolaus selbst die Schuld an der Niederlage trug, da er die Offensive persönlich angeordnet hatte. Der Zar war so schamerfüllt, dass ihn – laut Mandt, der in seinen letzten Stunden bei ihm war – »das geistige Leid stärker quälte als die körperliche Krankheit«; die Nachricht von dem Debakel bei Jewpatorija habe seiner bereits angegriffenen Gesundheit »den letzten Schlag versetzt«. 47
Nikolaus starb am 2. März. Die Öffentlichkeit hatte nichts von der Krankheit des Zaren gewusst (er verbot jegliche Veröffentlichung über sein Befinden), und die Bekanntgabe seines plötzlichen Todes ließ sofort Gerüchte aufkommen, dass er Selbstmord begangen habe. Bestürzt über Jewpatorija, habe er Mandt gebeten, ihm Gift zu verabreichen. Eine Menschenmenge versammelte sich vor dem Winterpalais, wo die schwarze Flagge gehisst wurde, und zornige Stimmen forderten die Hinrichtung des Arztes mit dem deutschen Namen. Mandt, der um sein Leben fürchtete, wurde rasch mit einer Kutsche aus dem Palast gebracht und verließ Russland kurz darauf. 48
Verschiedene andere Gerüchte gingen ebenfalls um: Mandt habe den Zaren ermordet (eine Version, die von manchen Höflingen verbreitet wurde, um der Vorstellung, Nikolaus habe sich selbst getötet, entgegenzuwirken); Mandt sei für seine Loyalität mit einem Zarenporträt in einem diamantbesetzten Rahmen belohnt worden; man habe einen Arzt namens Gruber in der Peter-und-Paul-Festung inhaftiert, weil er zu viel Interesse am Tod des Zaren gezeigt habe. Die Gegner der autoritären Herrschaft des Zaren schenkten dem Gemunkel über seinen Selbstmord gern Glauben, denn damit schien er seine Sünden stillschweigend eingestanden zu haben. Die Gerüchte wurden in den letzten Jahrzehnten vor 1917 von angesehenen Wissenschaftlern bekräftigt, beispielsweise von Nikolai Schilder, dem Autor einer vierbändigen Biografie von Nikolaus (Karl Schilder, der Vater des Gelehrten, hatte sich am Hof aufgehalten). Solche Quellen wurden in der Sowjetperiode häufig von Historikern zitiert, und einige berufen sich noch heute auf sie. 49
In ihrem intimen Tagebuch des Hoflebens führt Anna Tjutschewa genug Details über die letzten Stunden des Zaren an, um die Möglichkeit eines Selbstmords ausschließen zu lassen. Aber sie macht auch deutlich, dass Nikolaus moralisch gebrochen und von Reue über
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