Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
Staaten genauso viel Respekt entgegenzubringen wie ein Matrose seinem Rettungsanker in einem Sturm«, schrieb die anonyme Engländerin. Amerikaner in Russland würden gefeiert und mit Ehrungen überhäuft »und schienen recht erfreut darüber zu sein«.
    Es ist seltsam, dass Bürger einer republikanischen Nation wie der Vereinigten Staaten Titeln, Orden, Sternen und dergleichen Tand so große Achtung entgegenbringen … Am Tag meiner Abreise [aus St. Petersburg] zeigte einer der Attachés ihrer Botschaft meinen Freunden mit größter Begeisterung die Ostereier, welche die Fürstin Soundso, die Gräfin Wasweißich und mehrere einflussreiche Höflinge ihm überreicht hatten. Auch zeigte er ihnen die Porträts der ganzen Zarenfamilie, die er nach seiner Rückkehr nach New York als Haushaltsschätze aufhängen wollte.
    Die Polizei mühte sich vergebens, die Gerüchte einzudämmen, obwohl ihre Spitzel angeblich überall waren. Die Engländerin berichtete von zwei Frauen, die zum Grafen Orlow, dem Chef der Dritten Abteilung (das heißt der Geheimpolizei), vorgeladen wurden, nachdem sie in einer Kaffeestube Zweifel an den Kriegsmeldungen der russischen Presse geäußert hatten. »Ich erfuhr, dass sie streng verwarnt wurden und den Befehl erhielten, alles zu glauben , was mit amtlicher Sanktion geschrieben wurde.« 38
    Der Krieg rief in der russischen Gesellschaft unterschiedliche Reaktionen hervor. Der Einmarsch auf der Krim löste Empörung in gebildeten Kreisen aus, die sich patriotischen Erinnerungen an 1812 hingaben. Ironischerweise schien sich der allgemeine Zorn jedoch eher auf die Engländer als auf die Franzosen zu konzentrieren, die wegen des russischen Sieges über Napoleon als Volk behandelt wurden, das laut unserer anonymen Engländerin in St. Petersburg »zu unbedeutend und hilflos ist, um irgendein anderes Gefühl als das des tiefsten Mitleids zu verdienen«. Die Anglophobie hatte in Russland eine lange Tradition, und das »perfide Albion« wurde in manchen Kreisen der Hautevolee für alles Mögliche verantwortlich gemacht. »Wenn man sie reden hört, könnte man glauben, dass alle auf der Welt existierenden Laster dem britischen Einfluss zuzuschreiben sind«, schrieb die Engländerin. In den Salons von St. Petersburg galt es als ausgemacht, dass England der für den Krieg verantwortliche Aggressor sei und englisches Geld die Wurzel des Übels. Manche behaupteten, die Engländer hätten den Krieg angezettelt, um sich in den Besitz der russischen Goldbergwerke in Sibirien zu bringen; andere meinten, die Briten wollten ihr Reich bis zum Kaukasus und zur Krim ausweiten. Alle hielten Palmerston für den eigentlichen Lenker der britischen Politik und für den Urheber ihres Missgeschicks. In großen Teilen des europäischen Kontinents war Palmerston verhasst als Symbol der tyrannischen und unehrlichen Briten, die Freihandel und Freiheit predigten, nur um ihre eigenen Wirtschafts- und Kolonialinteressen zu fördern. Die Russen hatten jedoch noch einen besonderen Grund, den Staatsmann, der die antirussische Politik Europas geprägt hatte, zu verachten. Laut der Engländerin in St. Petersburg wurde »den unteren Schichten« durch die Namen Palmerston und Napier (dies war der Admiral, der die Ostseekampagne leitete) »ein so großer Schrecken eingeflößt«, dass Frauen ihre Kinder mit den Worten »Der englische Admiral kommt!« ins Bett scheuchen konnten.
    Und unter den einfachen Männern wandte sich einer dem anderen zu, nachdem sämtliche Schmähbegriffe in einem Streit erschöpft waren (die russische Sprache ist in dieser Hinsicht unglaublich reichhaltig), und sagte: »Du bist ein englischer Hund!« Es folgten ein paar weitere Höflichkeiten, wonach sie einander zum Abschluss mit »Palmerston!« beschimpften, ohne die geringste Ahnung zu haben, was das Wort bedeutete. Und auf dem Höhepunkt des Hasses und der Rachegelüste brüllten sie »Napier!«, als wäre er fünfzigmal schlimmer als der Satan selbst.
    Ein Gedicht, das unter russischen Offizieren weite Verbreitung fand, gab die patriotische Stimmung wieder:
    Und in kriegerischem Eifer
    Besiegt Commander Palmerston
    Russland auf der Karte
    Mit dem Zeigefinger.
    Aufgerüttelt durch seinen Mut,
    Folgt ihm der Franzose rasch,
    Schwingt seines Onkels Schwert
    Und ruft: Allons courage ! 39
    Die Panslawisten und Slawophilen waren die enthusiastischsten Befürworter des Krieges. Sie hatten den russischen Einmarsch auf dem Balkan als Beginn eines Religionskriegs für die

Weitere Kostenlose Bücher