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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Vorstellung fest, ein letzter Ansturm würde die Mauern von Sewastopol zum Einsturz bringen und die Russen dazu zwingen, einen demütigenden Frieden zu akzeptieren.
    In den Wintermonaten hatte die Belagerung eine ruhige Phase durchgemacht, denn beide Seiten konzentrierten sich weniger auf die Kämpfe als darauf, ihre Befestigungen zu verstärken. Die Franzosen übernahmen den größten Teil der Schanzarbeiten auf alliierter Seite, hauptsächlich weil das von den Briten gehaltene Gelände sehr felsig war. Laut Herbé hoben sie in den elf Belagerungsmonaten Gräben von 66 Kilometer Länge aus, während die Briten nur 15 Kilometer zustande brachten. Es war eine langsame, erschöpfende und gefährliche Arbeit, denn man musste den harten Boden bei Eiseskälte aufbrechen und die darunterliegenden Felsen mit Dynamit sprengen, und das unter ständigem Beschuss durch den Feind. »Jeder Meter unserer Gräben wurde buchstäblich um den Preis eines Menschenlebens und häufig sogar um den von zwei Männern ausgehoben«, schrieb Noir. 26
    Die Russen waren bei den Befestigungsarbeiten außerordentlich aktiv. Unter Leitung ihres Ingenieurgenies Totleben entwickelten sie Wälle und Schützengräben auf einem raffinierteren Niveau als je zuvor in der Geschichte der Belagerungskriegführung. In den Anfangsstadien der Belagerung waren die russischen Befestigungen kaum mehr als hastig errichtete Erdwälle, verstärkt durch Flechtwerk, Faschinen und Gabionen, doch in den Wintermonaten wurden neue und eindrucksvollere Anlagen hinzugefügt. Man verstärkte die Bastionen durch Kasematten: mehrere Meter unter der Oberfläche eingebunkerte Geschützstellungen, bedeckt mit dicken Schiffsbalken und Erde, wodurch sie dem schwersten Beschuss standhielten. Im Innern der am stärksten befestigten Bastionen, des Malachow und des Redan (Bastion Nr. 3), befand sich ein Labyrinth aus Bunkern und anderen Räumlichkeiten (eine, im Redan, enthielt sogar einen Billardtisch und Ottomanen), und jede verfügte über eine kleine Kapelle und ein Lazarett. 27
    Um diese wichtigen Bastionen zu schützen, bauten die Russen neue Anlagen außerhalb der Stadtmauern: den Mamelon (Kamtschatka-Lunette), um den Malachow zu verteidigen, und die Steinbruch-Gruben vor dem Redan. Der Mamelon wurde von den Soldaten des Kamtschatka-Regiments (von dem er seinen russischen Namen ableitete) unter fast ständigem französischem Beschuss im Februar und frühen März gebaut. So viele Männer kamen dabei um, dass nicht alle geborgen werden konnten (nicht einmal im Schutz der Nacht), weshalb etliche Tote in den Verschanzungen zurückblieben. Der Mamelon war seinerseits ein komplexes Bollwerk, das durch die doppelten Redouten der Weißen Werke an seiner linken Flanke (benannt nach dem weißen Lehmboden, der bei der Ausgrabung der Anlagen zutage trat) gesichert wurde. Henri Loizillon, ein französischer Ingenieur, beschrieb die Überraschung seiner Kameraden über das, was sie bei der Eroberung des Mamelon Anfang Juni vorfanden:
    Überall gab es Unterstände im Boden, die mit schwerem Bauholz verkleidet waren und in denen die Männer vor den Bomben Zuflucht gesucht hatten. Außerdem entdeckten wir einen enormen Untergrund, der mehrere hundert Personen aufnehmen konnte, wodurch die Verluste, die sie erlitten hatten, viel geringer waren als von uns angenommen. Diese Bunker waren umso bemerkenswerter wegen des erstaunlichen Komforts, den wir dort entdeckten: Es gab Betten, Daunendecken, Porzellan, vollständige Teeservices etc., so dass es den Soldaten nicht schlecht ergangen war. Daneben fanden wir eine Kapelle, deren einziges auffallendes Objekt eine sehr schöne, vergoldete Holzskulptur Christi war. 28
    Während all dieser hektischen Bauarbeiten fanden kaum nennenswerte Kämpfe statt. Allerdings führten die Russen bei Nacht sporadische Angriffe auf die Schützengräben der Briten und der Franzosen durch. Einige der kühnsten wurden von einem Matrosen namens Pjotr Koschka geleitet, der durch seine Taten in Russland zum Nationalhelden aufstieg. Den Alliierten blieb indes unklar, welchem Zweck diese Ausfälle dienten. Sie fügten den Verteidigungsanlagen nur selten bleibende Schäden zu, und die Verluste unter den Besatzern waren unbedeutend, gewöhnlich geringer als die der Russen selbst. Herbé glaubte, der Sinn der Angriffe sei es, die Ermüdung der Alliierten zu verschlimmern, denn die ständige nächtliche Bedrohung machte es ihnen unmöglich, in den Schützengräben zu schlafen (das

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