Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
wurde mit Jubel und Gelächter begrüßt, wenn er traf, und mit Gejohle, wenn er das Ziel verfehlte. 34
Da es immer weniger zu befürchten gab, wagten sich die Posten aus den Feldwachen nachts ins Niemandsland vor, um sich zu amüsieren oder sich aufzuwärmen. Von Zeit zu Zeit fraternisierten sie mit den Russen, deren eigene Vorposten nicht weiter als die Länge eines Fußballplatzes entfernt waren. Calthorpe verzeichnete einen solchen Vorfall, bei dem sich eine Gruppe unbewaffneter russischer Soldaten den britischen Wachen näherte:
[A]ls sie … nahe genug herangekommen waren, zeigten sie durch Gesten, daß sie Feuer für ihre Pfeifen wünschten; unsere Leute gaben ihnen das und sie blieben noch einige Augenblicke stehen, um mit unsern Posten zu sprechen, oder vielmehr es zu versuchen; die Unterhaltung war ziemlich wie folgt:
1. russischer Soldat: »Englis bono!«
1. englischer Soldat: »Ruskie bono!«
2. russischer Soldat: »Francis bono!«
2. englischer Soldat: »Bono!«
3. russischer Soldat: »Oslem no bono!«
3. englischer Soldat: »Ah! Ah! Turk no bono!«
1. russischer Soldat: »Oslem!« dabei schnitt er ein Gesicht und spuckte auf den Boden, um seine Verachtung zu beweisen.
1. englischer Soldat: »Turk!« Er that, als wollte er erschreckt fortlaufen, worauf die ganze Gesellschaft in ein schallendes Gelächter ausbrach, und nachdem sie sich die Hände geschüttelt, nach ihren verschiedenen Posten zurückkehrten. 35
Um sich die Zeit zu vertreiben, erfanden die Soldaten eine große Vielfalt von Beschäftigungen und Spielen. In den Bastionen von Sewastopol, bemerkte Jerschow, »ging man rund um die Uhr allen möglichen Kartenspielen nach«. Offiziere spielten Schach und lasen ausgiebig. In der Kasematte der 6. Bastion stand sogar ein Flügel, und man arrangierte Konzerte mit Musikern aus den anderen Bastionen. »Anfangs«, schreibt Jerschow, »waren die Konzerte würdevoll und zeremoniell, und wir schenkten den Regeln, wie man klassischer Musik zu lauschen habe, gebührende Aufmerksamkeit, doch allmählich änderte sich unsere Stimmung, und wir entwickelten einen entsprechenden Hang zu nationalen Melodien oder Volksliedern und - tänzen. Einmal wurde ein Maskenball veranstaltet, und ein Kadett erschien in Frauenkleidung, um Volkslieder zu singen.« 36
Bühnenveranstaltungen waren sehr beliebt im französischen Lager, wo die Zuaven eine eigene Theatertruppe hatten, ein Transvestiten-Varieté, das Scharen lärmender Soldaten in einem Holzschuppen unterhielt. »Man stelle sich einen als Schäferin verkleideten Zuaven vor, wie er mit den Männern flirtet ( faisant la coquette )!«, schrieb André Damas, ein Kaplan der französischen Armee. »Und dann einen anderen Zuaven, der als junge Gesellschaftsdame verkleidet ist und sich ziert ( jouant la précieuse )! Ich habe nie etwas Komischeres oder Begabteres gesehen als diese Herren. Sie waren köstlich.« 37
Pferderennen waren ebenfalls beliebt, besonders bei den Briten, deren Kavallerie fast nichts zu tun hatte. Aber nicht nur die Kavalleriepferde nahmen an diesen Rennen teil. Whitworth Porter besuchte eine Veranstaltung, welche die 3. Division in der Ebene abhielt. »Es war ein bitterkalter Tag«, trug er am 18. März in sein Tagebuch ein,
ein scharfer Westwind pfiff uns um die Ohren. Trotzdem war die Bahn voll von Nachzüglern aus allen Teilen der Armee; jeder, der sich irgendwie ein Pony für diese Gelegenheit besorgen konnte, hatte es getan, und die meisten von ihnen machten einen sehr eigenartigen Eindruck. Ich sah ein riesiges Exemplar von einem britischen Offizier, der barfüßig nicht weniger als 1,90 Meter gemessen haben dürfte, das kleinste, magerste, zottigste Pony besteigen, dem ich je begegnet bin. 38
In diesen relativ müßigen Monaten wurde eine Menge getrunken. Dies führte bei allen beteiligten Armeen zu allgemeiner Disziplinlosigkeit, Gefluche, Aufsässigkeit, Schlägereien und sonstiger Gewalt sowie zu Akten des Ungehorsams, was den Schluss nahelegt, dass die Moral der Soldaten gefährlich tief gesunken war. In der britischen Armee (und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie stärker betroffen war als die russischen oder französischen Streitkräfte) begingen sage und schreibe 5546 Männer (ungefähr jeder achte aktive Soldat) solche Ausschreitungen, dass sie während des Krimkriegs wegen Trunkenheit vor ein Militärgericht gestellt wurden. Die meisten leerten einen ziemlich großen Becher Alkohol zum Frühstück – Wodka für
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