Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
diejenigen, die 5 Minuten zuvor noch aufeinander gefeuert hatten, nun dabei zu beobachten, wie sie gemeinsam rauchten, sich Tabak teilten und Rum tranken, während sie die üblichen Komplimente wie »bono Ingles« etc. austauschten; die russischen Offiziere sahen sehr gentlemanlike aus, sprachen Französisch und einer Englisch; schließlich stellte man nach einem Blick auf die Uhren fest, dass »die Zeit fast abgelaufen war«. Darauf zogen sich beide Seiten allmählich außer Sichtweite in ihre jeweiligen Stellungen zurück, freilich erst nachdem unsere Männer den russischen Soldaten die Hand geschüttelt hatten; einer rief: »Au revoir«. 31
    Von diesen Scharmützeln abgesehen, blieben die Soldaten in den ersten Monaten des Jahres 1855 jeweils auf ihrer Seite. »Die Belagerung besteht nun nur noch nominell«, schrieb Henry Clifford seiner Familie am 31. März. »Wir feuern tagsüber ein paar Schüsse ab, aber alles scheint lahmzuliegen.« Es war eine merkwürdige Situation, denn zahlreiche Geschütze standen nur noch herum, als wäre der Glaube an die Belagerung geschwunden. In jenen Monaten wurde weit ausgiebiger gegraben als geschossen – eine Tatsache, die vielen Soldaten nicht gefiel. Laut Whitworth Porter von den Royal Engineers schätzten die Briten »Spatenarbeit« nicht, da sie diese für unsoldatisch hielten. Er zitiert einen Iren von der Infanterie:
    »Klar, für so ’ne Arbeit hab ich mich nich gemelldet. Ich hab den roten Rok angezogen um Solldat zu werden und ordendlich Wache zu stehen und mein Bajonnet zu benuzen wenn ich mus. Aber von so wass wie hir hab ich nicht getreumt. Klar, ich hab mich genau deshalb gemelldet weil ich Spatenarbeit hasse; und der Sargent der mich anwarb hat beim heiligen Pathrick geschwohren, das ich nie mehr ’nen Spaten seh. Aber kaum bin ich hir, da krig ich schon ’ne Spitzhake und ’ne Schaufel in die Hand, genauso schlim wie im alten Irland.« Und dann setzte er seine Arbeit fort, wobei er dauernd knurrte und die Russen wüst verfluchte. Dazu gelobte er, dass sie für all seinen Ärger bezahlen würden, wenn er je in die verflixte Stadt käme. 32
    Während die Belagerung zu einem monotonen, routinemäßigen Feueraustausch mit dem Feind wurde, gewöhnten sich die Soldaten in den Gräben an die ständige Beschießung. Von außen betrachtet, wirkten sie den Gefahren gegenüber fast gleichgültig. Bei seinem ersten Einsatz in den Schützengräben war Charles Mismer, ein 22-jähriger Dragoner der französischen Kavallerie, erstaunt darüber, dass die Soldaten Karten spielten oder schliefen, während Bomben und Granaten um sie herum einschlugen. Die Männer erkannten die Geschosse an ihrem unterschiedlichen Klang, der ihnen verriet, welches Ausweichmanöver erforderlich war: Die Kanonenkugel »sauste mit einem scharfen, schrillen Kreischen, sehr erschreckend für die Nerven des jungen Soldaten, durch die Luft«, wie Porter sich erinnerte; die Kartätschensalve »schwirrte mit einem Geräusch dahin, das dem eines kräftig flatternden Vogelschwarms glich«; der »Strauß« war ein Platzregen aus kleinen, von einer Bombe umschlossenen Granaten, die »jeweils eine gekrümmte Lichtspur hinterließen und wenn sie ihr Ziel erreichten und nacheinander explodierten, die Atmosphäre mit kurzen, sporadischen Blitzen erhellten«; und die größere Mörsergranate, »nachts leicht am Feuerschweif ihrer brennenden Lunte zu erkennen, beschreibt auf mittlerer Höhe einen majestätischen Bogen, bis sie, an ihrem extremen Punkt angelangt, niederfährt, schneller und schneller hinuntersinkt und dann jäh in die Tiefe stürzt … wobei sie während des Fluges durch die Luft ein Geräusch von sich gibt wie das Zwitschern eines Kibitzes«. Man konnte nicht ahnen, wo die Mörsergranate landen oder wo ihre Splitter explodieren würden, und so »gab es keine andere Möglichkeit, wenn man die vogelartigen Töne hörte, als sich mit dem Gesicht nach unten auf die Erde zu legen und auf das Beste zu hoffen«. 33
    Als sich die Belagerung hinzog und keine der beiden Seiten irgendwelche Gewinne verzeichnete, nahm der Schusswechsel nach und nach einen symbolischen Charakter an. In ruhigen Phasen, wenn sich die Männer langweilten, machten sie daraus einen Zeitvertreib. François Luguez, ein Hauptmann der Zuaven, schilderte, wie seine Männer Schießspiele mit den Russen veranstalteten: Eine Seite zog am Ende eines Bajonetts ein Stück Stoff in die Höhe, auf das die andere Seite feuern musste; jeder Schuss

Weitere Kostenlose Bücher