Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Kooperation des englischen Oberbefehlshabers im Grunde unmöglich gemacht worden.« 20
Viele Jahre lang sollten die Franzosen den Briten das Scheitern des Vorhabens anlasten, in Richtung Simferopol zu marschieren und die übrige Krim zu erobern. Sie hatten gute Gründe, erbost über Raglan zu sein, den Palmerston nach seiner Weigerung, den Befehl zu einem Angriff auf das Innere der Krim auszuführen, wegen Ungehorsams oder sogar Inkompetenz hätte entlassen können. Man durfte annehmen, dass die Alliierten mit ihren effektiveren Gewehren und mit dem Beistand der tatarischen Bevölkerung auf der Ebene fähig gewesen wären, Simferopol durch eine Feldaktion zu erobern und die Hauptnachschubroute der Russen auf der Halbinsel zu kappen. Genau dieses Szenario hatten die Russen besonders gefürchtet, weshalb der Zar im Februar den Angriff auf Jewpatorija befohlen hatte. Die Russen wussten, wie verwundbar sie durch Attacken auf ihre Versorgungslinien waren, und sie hatten die Route von Jewpatorija stets als die wahrscheinlichste für eine alliierte Offensive gegen Simferopol oder Perekop eingeschätzt. Wie sie später zugaben, waren sie erstaunt darüber, dass die Briten und Franzosen nie versucht hatten, einen solchen Angriff durchzuführen. 21
Der einzige ernsthafte Versuch der Alliierten, Sewastopol von seinen Nachschubbasen abzuschneiden, war ihr Überfall auf den Hafen Kertsch, der die Versorgungslinien über das Asowsche Meer kontrollierte. Allerdings brauchte man dafür zwei Anläufe. Schon zu Beginn der Kampagne waren Angriffspläne geschmiedet worden, doch der erste Befehl, in Aktion zu treten, erging erst am 26. März, als Raglan von Penmure die schriftliche Anweisung erhielt, eine »gemeinsame Operation zu Wasser und zu Lande« zu organisieren, um »die Befestigungen von Kertsch zu schwächen«. Es war ein reizvoller Vorschlag – nicht zuletzt, weil er die Royal Navy einbezog, die man bis dahin kaum eingesetzt hatte, und das zu einem Zeitpunkt, da die Franzosen den britischen Beitrag zu den alliierten Kriegsbemühungen nachdrücklich in Frage stellten. Canrobert hatte anfangs Zweifel an der Operation, doch am 29. April gestattete er einem Geschwader französischer Kriegsschiffe unter dem Kommando von Admiral Bruat sowie 8500 Soldaten, sich der Expedition anzuschließen, die von Generalleutnant Brown, dem altgedienten Befehlshaber der Leichten Division, geleitet werden sollte. Die alliierte Flotte stach am 3. Mai in See und segelte nach Nordwesten in Richtung Odessa, um ihre Absichten vor den Russen zu verbergen und um dann Kurs zurück auf Kertsch zu nehmen. Doch kurz bevor sie ihr Ziel erreichte, holte ein Schnellboot die Flotte ein und überbrachte einen Befehl Canroberts zur Umkehr der französischen Schiffe. Kurz nach der Abfahrt der Flotte hatte Napoleon über die neue Telegrafenleitung angeordnet, die Reserven aus Konstantinopel herbeizuholen. Da Bruats Schiffe zu diesem Zweck benötigt wurden, hatte Canrobert widerwillig beschlossen, sie von dem Angriff auf Kertsch abzuziehen. Die Royal Navy sah sich gezwungen, ebenfalls kehrtzumachen, und Canrobert war in britischen (und vielen französischen) Augen entehrt. 22
Durch den Rückruf der Expedition wurden die sich bereits verschlechternden Beziehungen zwischen den Briten und den Franzosen noch stärker beeinträchtigt. Und er spielte eine wichtige Rolle für Canroberts Entscheidung, das Kommando am 16. Mai abzugeben. Er war der Meinung, seine Autorität sei untergraben worden, er habe die Briten im Stich gelassen und sei deshalb außerstande, Raglan zur Durchführung der Pläne für eine Feldkampagne zu veranlassen. Der neue französische Oberbefehlshaber, General Pélissier, ein kleiner, untersetzter Mann mit einer raubeinigen Art, war ein Mann der Tat und viel energischer als Canrobert, den die Briten seit langem spöttisch als »Robert Can’t« bezeichneten. Pélissiers Ernennung wurde im britischen Lager begeistert aufgenommen. Oberst Rose, der britische Bevollmächtigte im Hauptquartier der französischen Armee, der Canrobert nahegestanden hatte, schrieb Clarendon, dass der Zeitpunkt für eine pragmatischere Kriegführung gekommen und Pélissier der richtige Mann dafür sei:
General Pélissier wird eine halbherzige Ausführung seiner Befehle niemals zulassen; denn was machbar ist, muss getan werden. Er ist jähzornig und ungehobelt, aber ich halte ihn für fair und aufrichtig; auch glaube ich, dass diese beiden Eigenschaften in allen wichtigen
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