Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
befohlen, dass die Alliierten einen Teil ihrer Verbände von Sewastopol abziehen würden. Eine russische Streitmacht von 21 000 Infanteristen, 6000 Kosaken und 88 Geschützen, geführt von General Murawjow, rückte von der russisch-türkischen Grenze aus zu dem 70 Kilometer entfernten Kars vor, wo 18 000 türkische Soldaten unter dem Kommando des britischen Generals William Williams – in dem Wissen, dass sie in einer offenen Feldschlacht besiegt werden würden – all ihre Energie für die Befestigung der Stadt aufgewandt hatten. Unter den vielen ausländischen Offizieren in der türkischen Armee in Kars – eine Legion setzte sich aus polnischen, italienischen und ungarischen Flüchtlingen der gescheiterten Aufstände von 1848/49 zusammen – befanden sich viele fähige Ingenieure. Die Russen starteten ihren ersten Angriff am 16. Juni, doch nachdem sie vehement zurückgeschlagen worden waren, beschlossen sie, die Stadt zu belagern und die Verteidiger durch Aushungern zur Kapitulation zu zwingen. Die Russen betrachteten ihre Aktion bei Kars als Antwort auf die alliierte Belagerung von Sewastopol.
Die Türken waren dafür, ein Expeditionskorps zur Entlastung von Kars zu entsenden. Omer Pascha bat die Briten und Franzosen um Erlaubnis, seine türkischen Streitkräfte in Kertsch und Jewpatorija (rund 25 000 Infanteristen und 3000 Kavalleristen) zu verlegen und »mich irgendwo auf die Küste von Tscherkessien zu stürzen, von dort die Verbindungslinien der Russen zu bedrohen und sie so zur Aufgabe der Belagerung von Kars zu nötigen«. Die alliierten Befehlshaber zögerten, eine Entscheidung zu treffen, und reichten die Angelegenheit weiter an die Politiker in London und Paris. Diese wollten das türkische Kontingent zuerst nicht von der Krim abziehen, billigten den Plan dann doch in groben Zügen, stritten sich aber darüber, wie man am besten nach Kars gelangte. Erst am 6. September brach Omer Pascha nach Suchumi an der georgischen Küste auf, von wo seine aus 40 000 Mann bestehende Armee mehrere Wochen zur Überquerung des südlichen Kaukasus benötigen würde.
Inzwischen wurde Murawjow vor Kars unruhig. Die Belagerung hatte einen schrecklichen Blutzoll von den Verteidigern der Stadt gefordert, die unter Lebensmittelmangel und Cholera litten. Aber Sewastopol war gefallen, der Zar brauchte Kars so schnell wie möglich, und Murawjow konnte, da Omer Paschas Armee unterwegs war, nicht warten, bis die Moral der Türken durch die Blockade gebrochen war. Am 29. September begannen die Russen einen Generalangriff auf die Bastionen der Stadt. Die türkischen Soldaten, obwohl geschwächt, kämpften hervorragend und setzten ihre Artillerie sehr effektiv ein. Dadurch mussten die Russen schwere Verluste hinnehmen: ungefähr 2500 Tote und doppelt so viele Verwundete, verglichen mit rund 1000 türkischen Opfern. Murawjow kehrte daraufhin zu seiner Belagerungstaktik zurück. Mitte Oktober, als Omer Pascha nach mehreren Verzögerungen endlich seinen langen Marsch von Suchumi aus nach Süden begann, waren die Verteidiger von Kars dem Hungertod nahe, und im Krankenhaus drängten sich die Skorbutopfer. Frauen brachten ihre Kinder zur Residenz von General Williams, um sie von ihm ernähren zu lassen. Sämtliche Pferde der Stadt waren geschlachtet und verzehrt worden, und den Menschen blieb nichts, als Gras und Wurzeln zu essen.
Am 22. Oktober traf die Nachricht ein, dass Selim Pascha, Omer Paschas Sohn, mit einer Armee von 20 000 Mann an der Nordküste der Türkei gelandet sei und nun nach Erzurum marschiere. Doch als er die nur wenige Tagesmärsche entfernte Stadt erreichte, hatte sich die Lage in Kars noch weiter verschlimmert: Täglich starben hundert Menschen, und unablässig desertierten Soldaten. Bei denen, die noch in der Lage waren weiterzukämpfen, sank die Moral auf den Tiefpunkt. Schwere Schneefälle gegen Ende Oktober machten es den türkischen Verstärkungen so gut wie unmöglich, nach Kars vorzudringen. Omer Paschas Armee wurde von den russischen Streitkräften in Mingrelien aufgehalten und zeigte dann keine Eile, nach Kars weiterzuziehen, sondern ruhte sich fünf Tage lang in der mingrelischen Hauptstadt Sugdidi aus, wo die Soldaten durch Plünderei und Entführung von Kindern für den Sklavenmarkt abgelenkt wurden. Danach kam man bei sehr starkem Regen nur mühsam auf dem dicht bewaldeten und sumpfigen Gelände voran. Selim Paschas Truppen rückten aus Erzurum sogar noch langsamer vor. Wie sich herausstellte, verfügte
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