Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
unter die Betten gerollt und starrten die untröstlichen Zuschauer an. Manche, Arme und Beine gebrochen und verdreht, mit gezackten Splittern, die sich durch das rohe Fleisch gebohrt hatten, flehten um Hilfe, Wasser, Nahrung oder Mitleid oder deuteten, wenn sie durch das Nahen des Todes oder durch furchtbare Verletzungen am Kopf oder Rumpf der Sprache nicht mehr mächtig waren, auf die tödliche Stelle. Einige schienen nur noch ihren Frieden mit dem Himmel machen zu wollen. Etliche hatten eine so grässlich absurde Haltung angenommen, dass man durch eine schreckliche Faszination wie angewurzelt stehen blieb. Die Leichen mancher Männer waren unglaublich geschwollen und aufgebläht; die Gesichtszüge, zu gigantischer Größe verzerrt, wiesen aus den Höhlen tretende Augen und geschwärzte, aus dem Mund hängende Zungen auf, fest zusammengedrückt von den im Todesröcheln auf sie beißenden Zähnen. All das ließ den Betrachter schaudern und sich abwenden. 36
Der Anblick der verwüsteten Stadt flößte allen, die sie betraten, Ehrfurcht ein. »Sewastopol bietet das bemerkenswerteste Schauspiel, das man sich vorstellen kann«, schrieb Baron Bondurand, der französische Militärinspekteur, am 21. September an Marschall de Castellane.
Wir selbst ahnten nichts von den Auswirkungen unserer Artillerie. Die Stadt ist buchstäblich zermalmt. Es gibt kein einziges Haus, das unsere Geschosse verfehlt haben. Kein Dach ist noch vorhanden, und fast alle Wände sind zerstört worden. Die Garnison muss während dieser Belagerung, in der all unsere Schläge folgenreich waren, enorme Verluste erlitten haben. Dies ist ein Zeugnis für die unbestreitbare Moral und Ausdauer der Russen, die so lange standhielten und erst kapitulierten, als ihre Position durch unsere Eroberung des Malachow unhaltbar geworden war.
Überall gab es Anzeichen der Zerstörung, und doch war Thomas Buzzard erstaunt über die Schönheit der Ruinenstadt:
In einer der hübschesten Straßen stand ein prächtiges klassisches Gebäude, anscheinend eine aus Stein gebaute Kirche, im Stil dem Parthenon von Athen ähnlich. Einige der mächtigen Säulen waren fast in Stücke geschmettert worden. Im Innern stellten wir fest, dass eine Granate das Dach durchdrungen hatte, dann auf dem Boden explodiert war und ihn zertrümmert haben musste. Es war seltsam, sich davon abzuwenden und in einen daneben liegenden kühlen und friedlichen Garten mit den Bäumen in vollem Laub zu schauen. 37
Für die Soldaten bot die Besetzung von Sewastopol eine Gelegenheit zum Plündern. Die Franzosen gingen dabei organisiert und mit Unterstützung ihrer Offiziere vor, die ebenfalls russische Besitztümer ausraubten und Trophäen nach Hause schickten, als wäre dies ein ganz normaler Bestandteil des Krieges. In einem Brief vom 16. Oktober stellte Leutnant Vanson ein langes Verzeichnis der Souvenirs auf, die er seinen Angehörigen schicken würde, darunter ein Silber- und ein Goldmedaillon, ein Porzellanservice und den Säbel eines russischen Offiziers. Ein paar Wochen später schrieb er erneut: »Wir sind immer noch dabei, Sewastopol zu plündern. Wirkliche Raritäten sind nicht mehr zu finden, aber es gab ein Objekt, das ich mir wirklich wünschte, einen schönen Stuhl, und ich freue mich, Euch mitteilen zu können, dass ich gestern einen entdeckt habe. Ihm fehlen ein Fuß und die gepolsterte Sitzfläche, doch die Lehne ist wunderbar geschnitzt.« Verglichen mit den Franzosen, waren die Briten ein wenig zurückhaltender. Am 22. September schrieb Thomas Golaphy seiner Familie einen Brief auf der Rückseite eines russischen Dokuments. Er sprach davon, dass
wir alles mitnahmen, was uns in die Hände fiel, und es an jeden Interessierten verkauften. Einige prächtige Gegenstände wurden sehr billig abgegeben, aber außer den Griechen waren keine Käufer vorhanden. Wir durften die Stadt nicht so plündern wie die Franzosen. Sie konnten alle Viertel betreten, doch wir durften nur einen Teil unseren Quartieren gegenüber aufsuchen. 38
Während die Briten den Franzosen beim Plündern nachstanden, waren sie ihnen weit überlegen, was Sauforgien betraf. Die Besatzer fanden riesige Alkoholvorräte in Sewastopol vor, und insbesondere die Briten machten sich daran, diese auszutrinken, wozu sie, wie sie annahmen, die Erlaubnis ihrer Offiziere als Belohnung für den hart erkämpften Sieg erhalten hatten. Schlägereien, Ungehorsam und Disziplinlosigkeit infolge von Alkohol wurden zu einem bedeutenden Problem
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