Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
im britischen Lager. Beunruhigt durch Berichte über »Massentrunkenheit« unter den Soldaten, schrieb Panmure an Codrington und warnte ihn vor der »extremen Gefahr, der Ihre Armee physisch ausgesetzt sein muss, wenn dieses Übel nicht bald beseitigt wird, sowie vor der Schande, mit der unser Nationalcharakter täglich überhäuft wird«. Er forderte, die Kriegszulage der Soldaten zu kürzen und das Kriegsrecht in vollem Maße anzuwenden. Von Oktober bis März stellte man 4000 britische Soldaten wegen Trunkenheit vor Militärgerichte; die meisten wurden wegen ihres Fehlverhaltens zu fünfzig Peitschenhieben verurteilt, und viele verloren bis zu einem Monatssold, aber die Trinkerei ging weiter, bis die Alkoholvorräte versiegten und die Soldaten die Krim hinter sich ließen. 39
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Der Fall Sewastopols wurde von Menschenmengen in London und Paris bejubelt. Man tanzte auf den Straßen, betrank sich und sang ausgiebig patriotische Lieder. Viele dachten, der Krieg sei nun beendet. Die Eroberung des Marinestützpunkts und die Zerstörung der Schwarzmeerflotte des Zaren hatten im Mittelpunkt der alliierten Kriegspläne gestanden, jedenfalls so weit diese der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden, und diese Ziele waren nun erreicht. In Wirklichkeit aber war der Verlust von Sewastopol keine entscheidende militärische Niederlage für Russland. Dazu benötigte man einen groß angelegten Einmarsch durch Bodentruppen, um Moskau zu erobern, oder einen Sieg in der Ostsee über St. Petersburg.
Wenn einige westliche Führer gehofft hatten, dass die Einnahme von Sewastopol den Zaren zwingen würde, um Frieden nachzusuchen, so wurden sie rasch enttäuscht. Die kaiserliche Verlautbarung, mit der dem russischen Volk der Verlust mitgeteilt wurde, hatte etwas Herausforderndes an sich. Am 13. September begab sich Alexander nach Moskau, um den dramatischen Auftritt Alexanders I. in der »nationalen« Hauptstadt nach Napoleons Invasion im Juli 1812 nachzustellen, als jubelnde Menschenmengen den Zaren auf dem Weg zum Kreml begrüßt hatten. »Denken Sie an 1812«, schrieb er seinem Oberbefehlshaber Gortschakow am 14. September. »Sewastopol ist nicht Moskau. Die Krim ist nicht Russland. Zwei Jahre nach dem Brand von Moskau waren unsere siegreichen Soldaten in Paris. Wir sind immer noch dieselben Russen, und Gott ist auf unserer Seite.« 40
Alexander überlegte sich, wie er den Krieg fortsetzen konnte. Ende September entwarf er einen detaillierten Plan für eine neue Balkan-Offensive im Jahr 1856: Er würde den Krieg zu den Feinden Russlands auf europäischen Boden tragen, indem er russlandfreundliche und nationalistische Revolten unter den Slawen und Rechtgläubigen entfachte. Laut Tjutschewa »wies [Alexander] alle zurecht, die davon sprachen, Frieden zu schließen«. Nesselrode befürwortete zweifellos Friedensverhandlungen und ließ die Österreicher wissen, dass er Vorschläge der Alliierten begrüßen würde, wenn sie »mit unserer Ehre vereinbar« seien. Vorläufig jedoch war in St. Petersburg und Moskau nur davon die Rede, den Krieg fortzuführen, wenngleich es sich dabei in erster Linie um einen Bluff handelte, der die Alliierten veranlassen sollte, Russland bessere Friedensbedingungen anzubieten. Der Zar wusste, dass die Franzosen kriegsmüde waren und dass Napoleon den Frieden befürwortete, da er nun den »glorreichen Sieg«, den der Fall von Sewastopol symbolisierte, errungen hatte. Alexander war jedoch klar, dass die Briten weniger geneigt sein würden, den Krieg zu beenden. Palmerston hatte den Krim-Feldzug stets als Beginn eines größeren Krieges betrachtet, der die Macht des Russischen Reiches in der Welt einschränken sollte, und die britische Öffentlichkeit schien den Konflikt generell fortsetzen zu wollen. Auch Königin Viktoria konnte den Gedanken nicht ertragen, dass das Scheitern der britischen Armee auf dem Redan »our last fait d’armes « sein sollte. 41
Nachdem Großbritannien die Fronten in Kleinasien und im Kaukasus so lange vernachlässigt hatte, war seine Hauptsorge die russische Belagerung von Kars. Alexander erhöhte den Druck auf die türkische Festungsstadt, um nach dem Fall von Sewastopol seine Verhandlungsposition für Friedensgespräche mit den Briten zu stärken. Die Einnahme von Kars würde den Truppen des Zaren ermöglichen, nach Erzurum und Anatolien vorzustoßen und die britischen Interessen am Landweg nach Indien zu bedrohen. Alexander hatte den Angriff auf Kars im Juni in der Hoffnung
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