Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
mindestens um ein weiteres Jahr zu verlängern – bis die Krim und der Kaukasus von Russland getrennt und die polnische Unabhängigkeit errungen seien. 45
    Es ging nicht nur darum, Russland mit westlich orientierten Staaten zu umgeben, sondern um einen größeren »Krieg der Nationalitäten«, der das Russische Reich von innen her zerbrechen sollte. Die Idee hatte Palmerston erstmals in einer Kabinettsvorlage vom März 1854 vorgebracht. Damals hatte er angeregt, dem Osmanischen Reich die Krim und den Kaukasus zurückzugeben; Finnland sollte an Schweden gehen, die baltischen Provinzen an Preußen und Bessarabien an Österreich, während Polen als von Russland unabhängiges Königreich wiederhergestellt werden sollte. Verschiedene Vertreter des Establishments von Westminster hatten diese Vorschläge während des Krimkriegs diskutiert und sie stillschweigend als inoffizielle Kriegsziele des britischen Kabinetts anerkannt.Wie der Herzog von Argyll im Oktober 1854 in einem Brief an Clarendon erklärte, seien die Vier Punkte als Kriegsziele zwar »ausreichend«, da sie »einen beliebigen Spielraum für Änderung und Erweiterung« böten, doch könne die Zerstückelung Russlands wünschenswert und möglich werden, »falls ein erfolgreicher Krieg sie für uns erreichbar macht«. Nach der Eroberung von Sewastopol wurden diese Überlegungen erneut im inneren Zirkel von Palmerstons Kriegskabinett angesprochen. »Ich vermute, Palmerston würde sich wünschen, dass der Krieg unmerklich in einen sogenannten Krieg der Nationalitäten übergeht, aber er würde es zurzeit nicht offen eingestehen wollen«, notierte der politische Tagebuchschreiber Charles Greville am 6. Dezember. 46
    Den Herbst 1855 über vertrat Palmerston den Standpunkt, dass man sich auf eine Fortsetzung des Krieges im folgenden Frühjahr vorbereiten solle, schon allein um den Druck auf die Russen aufrechtzuerhalten, damit sie die ihm vorschwebenden strengen Friedensbedingungen akzeptierten. Er war wütend auf die Franzosen und die Österreicher, da sie direkte Gespräche mit den Russen aufgenommen hatten und vergleichsweise gemäßigte Bedingungen auf der Grundlage der Vier Punkte ins Auge fassten. Wie er Clarendon am 9. Oktober mitteilte, war er überzeugt, dass »Nesselrode und seine Spione in Paris und Brüssel auf die Franzosen einwirkten« und dass es, »da die Österreicher und Preußen Nesselrodes Bemühungen entgegenkommen … , all unsere Beharrlichkeit und all unser Geschick« erfordere, »nicht in einen Frieden hineingezogen zu werden, der die ursprünglichen Erwartungen des Landes enttäuschen und die eigentlichen Kriegsziele unverwirklicht lassen würde«. In demselben Schreiben umriss Palmerston seine Minimalbedingungen für eine Einigung: Russland müsse seine Einmischungen in den Donaufürstentümern beenden, wo der Sultan »den Fürsten eine gute, zuvor mit England und Frankreich abgesprochene Verfassung gewähren« solle; das Donaudelta solle von Russland an die Türkei abgetreten werden; auch müssten die Russen sämtliche Marinestützpunkte am Schwarzen Meer aufgeben, dazu alle »Teile von Gebieten, die in ihrem Besitz Ausgangspunkte für Angriffe auf ihre Nachbarn darstellen«; dazu gehörten auch die Krim und der Kaukasus. Im Hinblick auf Polen war sich Palmerston nicht mehr sicher, ob Großbritannien einen Unabhängigkeitskrieg unterstützen könne, doch meinte er, die Franzosen sollten an dem von Walewski vorgeschlagenen Plan festhalten, um die Russen weiter unter Druck zu setzen, damit sie eine Beschneidung ihrer Macht in der Welt akzeptierten. 47
    Die Franzosen zeigten sich jedoch weniger enthusiastisch. Nachdem sie den Löwenanteil der Kämpfe bestritten hatten, besaß ihre Meinung mindestens so viel Gewicht wie die Palmerstons. Ohne französischen Beistand konnte Großbritannien nicht daran denken, den Krieg fortzusetzen, geschweige denn neue Verbündete unter den europäischen Staaten zu gewinnen, die zumeist der französischen Führung den Vorzug gegenüber der britischen gaben.
    Frankreich hatte stärker unter dem Krieg gelitten als Großbritannien. Abgesehen von den Verlusten auf dem Schlachtfeld, wurde die französische Armee im Herbst und Winter 1855 heftig von verschiedenen Krankheiten, hauptsächlich Skorbut und Typhus, doch auch Cholera, heimgesucht. Die Probleme glichen denen der Briten im Winter zuvor, das heißt, die Situation der beiden Armeen hatte sich umgekehrt. Während die Briten die Hygiene und die medizinische

Weitere Kostenlose Bücher