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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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ins Wanken geraten – die Möglichkeit revolutionärer Unruhen sei nicht auszuschließen. Unter den Bauern, die die Hauptlast des Krieges trügen, seien bereits Anzeichen von Aufruhr zu beobachten. Man solle die österreichischen Vorschläge nicht ablehnen, sondern Ergänzungen ins Spiel bringen, um die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Der Rat stimmte Kisseljow zu. In der Antwort an die Österreicher akzeptierte man die Friedensbedingungen, wies jedoch die Abtretung Bessarabiens und die Hinzufügung des fünften Punktes zurück.
    Die russischen Gegenvorschläge spalteten die Alliierten. Die Österreicher, die ein Interesse an Bessarabien hatten, drohten sogleich, die Beziehungen zu Russland abzubrechen. Die Franzosen hingegen waren nicht bereit, die Friedensverhandlungen »für ein paar Landfetzen in Bessarabien« zu gefährden, wie Napoleon in einem Brief vom 14. Januar an Viktoria erklärte. Die Königin war der Ansicht, man solle die Verhandlungen verschieben, um die Gegensätze zwischen Russland und Österreich auszunutzen. Es war ein guter Ratschlag, denn wie sein Vater fürchtete Alexander nichts mehr als einen Krieg mit Österreich, und vielleicht konnte nur diese Aussicht ihn bewegen, die Vorschläge anzunehmen. Am 12. Januar teilte Buol den Russen mit, dass Österreich die diplomatischen Beziehungen abbrechen werde, wenn sie die Friedensbedingungen nicht innerhalb von sechs Tagen akzeptierten. Friedrich Wilhelm tat seine Unterstützung für die österreichischen Vorschläge in einem Telegramm nach St. Petersburg kund. Nun war der Zar auf sich allein gestellt.
    Am 15. Januar berief Alexander eine weitere Ratssitzung im Winterpalais ein. Diesmal kam der wichtigste Beitrag von Nesselrode. Er warnte den Zaren, dass die Alliierten ihre Streitkräfte im folgenden Jahr an der Donau und in Bessarabien, nahe der österreichischen Grenze, konzentrieren würden. Wahrscheinlich werde Österreich in die Kampfhandlungen gegen Russland hineingezogen, und Wiens Entscheidung könne Auswirkungen auf die neutralen Staaten haben, allen voran auf Schweden und Preußen. Wenn Russland sich weigere, nun Frieden zu schließen, laufe es Gefahr, einen Krieg gegen ganz Europa führen zu müssen. Der alte Fürst Woronzow, ehemals Vizekönig des Kaukasus, pflichtete Nesselrode bei. Mit emotionsgeladener Stimme bat er den Zaren, die österreichischen Bedingungen, so schmerzlich sie auch sein mochten, anzunehmen. Durch eine Fortsetzung des Kampfes sei nichts mehr zu erreichen, und Widerstand könne zu noch demütigenderen Bedingungen führen, vielleicht zum Verlust der Krim, des Kaukasus und gar Finnlands und Polens. Kisseljow setzte hinzu, dass das Volk von Wolhynien und Podolien in der Ukraine mit genauso hoher Wahrscheinlichkeit wie die Finnen und Polen gegen die russische Herrschaft aufbegehren werde, wenn der Krieg weitergehe und österreichische Soldaten sich jenen westlichen Grenzgebieten näherten. Verglichen mit diesen Gefahren, seien die in dem Ultimatum geforderten Opfer unerheblich. Ein Regierungsvertreter des Zaren nach dem anderen drängte ihn, die Friedensbedingungen zu akzeptieren. Nur Alexanders jüngerer Bruder, Großfürst Konstantin, sprach sich für den Krieg aus, aber er hatte kein Regierungsamt inne, und so patriotisch sein Appell an den Widerstandsgeist von 1812 auch geklungen haben mochte, fehlte ihm doch die Überzeugungskraft, um die Anwesenden umzustimmen. Der Zar hatte seine Entscheidung getroffen. Am folgenden Tag erhielten die Österreicher eine Note von Nesselrode, in der er sich mit ihren Friedensbedingungen einverstanden erklärte. 56
    * * *
    In Sewastopol hatten sich die Soldaten auf einen zweiten Winter auf der Krim vorbereitet. Niemand wusste wirklich, ob sie erneut kämpfen mussten, aber allen möglichen Gerüchten zufolge sollten sie zu einem Frühjahrsfeldzug an die Donau oder in den Kaukasus oder in einen anderen Winkel des Russischen Reiches geschickt werden. »Was wird aus uns werden?«, schrieb der Bataillonskommandeur Joseph Fervel am 15. Dezember an Marschall de Castellane. »Wo werden wir uns nächstes Jahr wiederfinden? Das ist die Frage, die jeder stellt und die niemand beantworten kann.« 57
    Vorläufig widmeten sich die Männer auf den Anhöhen über Sewastopol dem täglichen Geschäft des Überlebens. Der Nachschub verbesserte sich, und man stellte den Soldaten stabilere Zelte und Holzhütten zur Verfügung. Die Bars und Läden von Kamiesch und Kadikoi waren stets gut

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