Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
Konstantinopel auf, in der Annahme, die türkische Regierung habe sie eingeladen, sich im Osmanischen Reich niederzulassen. Alarmiert über den Massenexodus, der die Landwirtschaft auf der Krim gefährdete, erkundigten sich die örtlichen russischen Beamten in St. Petersburg, ob sie die Tataren zurückhalten sollten. Nachdem man dem Zaren mitgeteilt hatte, dass die Tataren massenhaft mit dem Feind kollaboriert hätten, erwiderte er, man solle ihren Auszug nicht unterbinden – im Gegenteil, »es wäre vorteilhaft, die Halbinsel von dieser schädlichen Bevölkerung zu befreien « (ein Gedanke, den Stalin im Zweiten Weltkrieg wiederaufgreifen sollte). Als Stroganow seine Untergebenen über Alexanders Erklärung in Kenntnis setzte, interpretierte er sie als direkten Befehl zur Vertreibung sämtlicher Muslime von der Krim, denn schließlich habe der Zar die Ausreise der Tataren als »notwendig « – und nicht nur als »vorteilhaft « – bezeichnet. Verschiedene Maßnahmen wurden angewandt, um sie zum Aufbruch zu bewegen: So kursierten Gerüchte über eine geplante Massendeportation im Norden, über Kosakenangriffe auf tatarische Dörfer sowie über Pläne, die Tataren dazu zu zwingen, in den Schulen der Krim die russische Sprache zu lernen oder zum Christentum zu konvertieren. Die Steuern für tatarische Höfe wurden erhöht und Dorfbewohnern der Zugang zu Wasser verwehrt, so dass sie ihr Land an russische Grundbesitzer verkaufen mussten.
    Zwischen 1856 und 1863 emigrierten 150 000 Krimtataren und wohl an die 50 000 Nogai-Tataren (etwa zwei Drittel der gemeinsamen Tatarenbevölkerung der Krim und Südrusslands) ins Osmanische Reich. Die genauen Zahlen sind schwer zu schätzen, und manche Historiker veranschlagen sie viel höher. Aus Sorge über den wachsenden Arbeitskräftemangel in der Gegend versuchten die russischen Behörden 1867 mit Hilfe von polizeilichen Angaben herauszufinden, wie viele Tataren die Halbinsel seit Kriegsende verlassen hatten. Man berichtete, es habe sich um 104 211 Männer und 88 149 Frauen gehandelt. Es gebe 784 aufgegebene Dörfer und 457 leere Moscheen. 13
    Die russischen Behörden entfernten nach 1856 nicht nur die tatarische Bevölkerung, sondern machten es sich auch zum Ziel, die Krim zu christianisieren. Gerade nach der Erfahrung des Krimkriegs betrachteten sie die Halbinsel mehr denn je als religiöses Grenzgebiet zwischen Russland und der muslimischen Welt, das sie noch stärker unter ihre Kontrolle bringen müssten. Vor dem Krieg hatte der relativ liberale Generalgouverneur Fürst Woronzow die Verbreitung christlicher Einrichtungen auf der Krim abgelehnt, weil dies »unter den [tatarischen] Einheimischen den unbegründeten gefährlichen Eindruck aufkommen ließe, man beabsichtige, sie vom Islam abzubringen und zur Orthodoxie zu bekehren « . Woronzow gab seinen Posten jedoch 1855 auf und wurde durch den aggressiven russischen Nationalisten Stroganow abgelöst, der die Christianisierungsziele Innokentis, des Erzbischofs der Diözese Cherson-Taurien, zu der die Krim gehörte, aktiv unterstützte. Gegen Ende des Krimkriegs waren Innokentis Predigten in Form von Broschüren und Holzschnittdrucken ( lubki ) weithin unter den russischen Soldaten verbreitet gewesen. Innokenti nannte den Konflikt einen »heiligen Krieg « um die Krim, das Zentrum der orthodoxen Identität des Volkes und den Ursprungsort des Christentums in Russland. Er betonte das uralte Erbe der griechischen Kirche auf der Halbinsel, die er als »russischen Athos « bezeichnete, als einen sakralen Ort im »heiligen Russischen Reich « , der durch die Religion mit dem orthodoxen Mönchsstaat auf der Halbinsel Athos im nordöstlichen Griechenland verbunden sei. Mit Stroganows Unterstützung organisierte Innokenti nach dem Krimkrieg die Schaffung eines eigenen Bistums für die Krim sowie die Gründung mehrerer neuer Klöster auf der Halbinsel. 14
    Um christliche Siedler für die Krim zu gewinnen, verabschiedete die zaristische Regierung 1862 ein Gesetz, das Kolonisten aus Russland und dem Ausland Sonderrechte und Zuschüsse gewährte. Von den Tataren aufgegebene Grundstücke wurden Ausländern zum Kauf angeboten. Durch den Zustrom christlicher Neuankömmlinge in den 1860er und 1870er Jahren veränderte sich die ethnische Zusammensetzung der Krimbevölkerung. Einstige Tatarensiedlungen waren nun von Russen, Griechen, Armeniern, Bulgaren und sogar Deutschen und Esten bewohnt. Sie alle wurden durch die Verheißung billigen und

Weitere Kostenlose Bücher