Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
abzielte. Diese Punkte wurden jedoch nicht von Orlow akzeptiert, der unterstrich, dass die russischen Rechte in Polen nicht auf dem Vertrag von 1815, sondern auf der russischen Eroberung während der Niederschlagung des polnischen Aufstands von 1830/31 beruhten. Um seine Beziehungen zu Russland zu verbessern, dessen Unterstützung gegen die Österreicher er in Italien benötigte, beschloss Napoleon, die polnische Sache aufzugeben. Danach fiel auf dem Pariser Kongress kein weiteres Wort mehr über das Thema. Sogar Palmerston, der selten eine Gelegenheit ausließ, sich mit den Russen anzulegen, wies Clarendon an, nicht auf die Polen zu sprechen zu kommen. »Es wäre nicht angebracht « , erklärte er, »von Russland die Wiederherstellung des Königreichs Polen zu verlangen .«
Der Vorteil für die Polen wäre sehr zweifelhaft; wenn sie die Unabhängigkeit von Russland erhalten könnten, wäre dies wahrhaftig ein großer Gewinn sowohl für die Polen als auch für Europa, doch der Unterschied sowohl für die Polen als auch für Europa zwischen dem gegenwärtigen Zustand des Königreichs Polen und dem, der durch den Vertrag von Wien etabliert wurde, wäre kaum all der Schwierigkeiten wert, auf die wir stoßen würden, wenn wir einen solchen Wandel realisieren wollten. Die russische Regierung würde wie in früheren Jahren behaupten, Polen habe rebelliert und sei erobert worden, womit es nun durch das Recht der Eroberung und nicht durch den Wiener Vertrag in seinem Besitz sei, weshalb Russland den Verpflichtungen jenes Vertrags nicht mehr unterliege. Die Russen würden außerdem behaupten, dass eine solche Forderung der Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten gleichkomme.
»Armes Polen !« , bemerkte Stratford Canning gegenüber Lord Harrowby, einem von Czartoryskis Parteigängern. »Sein Wiederaufleben ist wie der Fliegende Holländer. Es wird immer erwartet, ohne je zur Realität zu werden .« 6
Da alle Hauptfragen im Voraus gelöst worden waren, verlief der Pariser Kongress reibungslos und ohne große Auseinandersetzungen. Nur drei Sitzungen genügten, um die Abmachung zu formulieren. Man hatte reichlich Freizeit für alle möglichen gesellschaftlichen Veranstaltungen – für Bankette, Diners, Konzerte, Bälle und Empfänge und eine spezielle Geburtstagsfeier für den Thronfolger Louis-Napoléon, das einzige Kind von Napoleon III . und Kaiserin Eugénie – , bevor die Diplomaten schließlich am Sonntag, dem 30. März, um 13 Uhr zur formellen Unterzeichnung des Friedensvertrags zusammenkamen.
Überall in Paris gab man den Frieden bekannt. Telegrafenleitungen liefen heiß, um die Nachricht in der ganzen Welt zu verbreiten. Um 14 Uhr signalisierte eine donnernde Salve der Kanonen am Invalidendom das Ende des Krieges. Jubelnde Menschenmengen versammelten sich auf den Straßen, Restaurants und Cafés machten blendende Geschäfte, und am Abend wurde der Pariser Himmel von einem Feuerwerk erleuchtet. Am folgenden Tag fand eine Parade auf dem Marsfeld statt. Unter den Augen von Zehntausenden Pariser Bürgern marschierten französische Soldaten am Kaiser und an Prinz Napoleon, an französischen Befehlshabern und ausländischen Würdenträgern vorbei. »Ein elektrisches Beben der Erregung ging durch die Menge « , hieß es in der offiziellen Geschichte des Kongresses, die im folgenden Jahr erschien, »und unter den Anwesenden brach ein ohrenbetäubender Jubel des Nationalstolzes und der Begeisterung aus, der das Marsfeld besser erfüllte, als tausend Kanonen es vermocht hätten .« 7 Hier waren Ruhm und allgemeiner Beifall, wie sie Napoleon sich bei seinem Kriegseintritt gewünscht hatte.
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Die Nachricht vom Frieden traf am folgenden Tag auf der Krim ein – so lange dauerte es, bis das Telegramm von Paris nach Warna übermittelt und durch das Unterwasserkabel nach Balaklawa weitergeleitet wurde. Am 2. April feuerte man die alliierten Kanonen auf der Krim zum letzten Mal ab: als Salut zur Feier des Kriegsendes.
Den Alliierten wurden sechs Monate gewährt, in denen sie ihre Streitkräfte abziehen sollten. Die Briten benutzten den Hafen Sewastopol, wo sie die Zerstörung der prächtigen Docks durch eine Reihe von Explosionen überwachten, während die Franzosen Fort Nikolaus verwüsteten. Enorme Mengen an Kriegsmaterial mussten erfasst, auf Schiffe verladen und in die Heimat transportiert werden: erbeutete Gewehre und Kanonen, Munition, Altmetall und Lebensmittelvorräte sowie Unmengen an sonstigem Beutegut, das
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