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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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etwa in Form von europäischen Tischmanieren, von Besteck und Geschirr, Möbeln und Ausstattung. 20
    In nahezu allen Lebensbereichen markierte der Krimkrieg einen Wendepunkt, was die Öffnung und Verwestlichung der türkischen Gesellschaft betraf. Die Masseneinwanderung von Flüchtlingen aus dem Russischen Reich war nur einer der Faktoren, durch die das Osmanische Reich vermehrt äußeren Einflüssen ausgesetzt wurde. Der Krimkrieg brachte die osmanische Welt mit neuen Ideen und Technologien in Berührung, beschleunigte die Integration der Türkei in die globale Wirtschaft und verstärkte die Kontakte zwischen Türken und Ausländern erheblich. Während des Krieges und im Anschluss daran kamen mehr Europäer nach Konstantinopel als jemals zuvor. Die vielen Diplomaten, Finanziers, Militärberater und Soldaten, Ingenieure, Touristen, Kaufleute, Missionare und Priester hinterließen in der türkischen Gesellschaft einen tiefen Eindruck.
    Der Krieg führte außerdem zu einer starken Erhöhung ausländischer Kapitalanlagen im Osmanischen Reich und damit zu einer wachsenden finanziellen Abhängigkeit der Türkei von westlichen Banken und Regierungen (Auslandskredite zur Finanzierung des Krieges und der Tanzimat-Reformen stiegen zwischen 1855 und 1877 von ungefähr 5 Millionen auf verblüffende 200 Millionen britische Pfund). Daneben förderte der Krieg die Entwicklung von Telegrafen und Eisenbahnen und beschleunigte das Aufkommen dessen, was man als türkische öffentliche Meinung bezeichnen könnte, durch Zeitungen und eine neue Art journalistischen Schreibens, die sich unmittelbar aus der enormen Nachfrage nach Informationen über den Konflikt ergab. In Gestalt der Neuen Osmanen ( Yeni Osmanlilar ), einer losen Gruppierung von Journalisten und potenziellen Reformern, die sich in den 1860er Jahren kurzzeitig zu einer Art politischer Partei zusammenschlossen, löste der Krieg auch eine Reaktion gegen einige der Veränderungen aus und förderte die Entstehung der ersten osmanischen (türkischen) nationalistischen Bewegung. Die Überzeugung der Neuen Osmanen, dass westliche Institutionen unter den Rahmenbedingungen der muslimischen Tradition zu übernehmen seien, machte sie in vieler Hinsicht zu den »geistigen Vätern « der Jungtürken, der Schöpfer des modernen türkischen Staates. 21
    Die Neuen Osmanen lehnten die zunehmende Einmischung der europäischen Mächte im Osmanischen Reich ab. Auch wandten sie sich gegen Reformen, die der Türkei ihrer Meinung nach von westlichen Regierungen auferlegt worden waren, um den speziellen Interessen der Christen entgegenzukommen. Insbesondere missbilligten sie den Hatt-i Hümayun von 1856, der tatsächlich von den europäischen Mächten durchgesetzt worden war. Stratford Canning und Thouvenel hatten ihn verfasst und der Hohen Pforte als Bedingung für weitere Auslandsanleihen präsentiert. Darin wurden die Prinzipien der religiösen Toleranz, die bereits im Hatt-i Scherif von 1839 formuliert worden waren, wiederholt und klarer nach westlichen juristischen Begriffen – ohne Bezug auf den Koran – definiert. Neben dem Versprechen von Toleranz und Bürgerrechten für Nichtmuslime wurden einige neue politische Prinzipien für das osmanische Regierungswesen im Einklang mit britischen Forderungen eingeführt: strikte Jahresbudgets, die Gründung von Banken, die Kodifizierung des Straf- und Zivilrechts, die Reform türkischer Gefängnisse und gemischte Gerichtshöfe für eine Mehrheit von Fällen, die Muslime und Nichtmuslime betrafen. Es war ein gründliches Verwestlichungsprogramm für das Osmanische Reich. Die Neuen Osmanen hatten die im Hatt-i Scherif von 1839 enthaltenen Grundsätze als notwendiges Element der Tanzimat-Reformen unterstützt, denn im Gegensatz zu dem Erlass von 1856 hatte er inländische Ursprünge und stellte keine Bedrohung für die privilegierte Rolle des Islams im Osmanischen Reich dar. Den Hatt-i Hümayun dagegen sahen sie als unter dem Druck der Großmächte zustande gekommene Sonderregelung für die Nichtmuslime, die den Interessen des Islams und der türkischen Souveränität schaden könne.
    Noch größeren Groll weckte die ausländische Herkunft und Terminologie des Hatt-i Hümayun bei muslimischen Geistlichen und Konservativen. Sogar der alte Tanzimat-Reformer Mustafa Reschid – der noch einmal für kurze Zeit als Großwesir diente, nachdem Stratford im November 1856 auf seiner Wiederernennung bestanden hatte – war der Ansicht, dass den Christen durch

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