Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Missernten die Hohe Pforte in finanzielle Nöte gebracht hatten. Bald aber nahmen die Rebellionen den Charakter eines Religionskriegs an. Ihre Anführer hofften auf Hilfe von Serbien und Russland. Von Ignatjew dazu ermutigt, forderten serbische Nationalisten in Belgrad ihre Regierung auf, Truppen zur Verteidigung der Slawen gegen die Türken zu entsenden und ein vereinigtes Groß-Serbien zu schaffen.
In Bulgarien waren die Rebellen schlecht bewaffnet und organisiert, doch sie hegten einen unbändigen Hass auf die Türken. Im Frühjahr 1876 artete die Revolte zu einem Massaker an der muslimischen Bevölkerung aus, die seit dem Krimkrieg infolge der Einwanderung von ungefähr einer halben Million Krimtataren und Tscherkessen, die vor den Russen nach Bulgarien geflohen waren, stark zugenommen hatte. Die Spannungen mit den Christen hatten sich verschärft, als die Neuankömmlinge zu einer halbnomadischen Lebensweise zurückkehrten, die christlichen Siedlungen überfielen und so unverfroren Vieh stahlen, wie es die Bauern der Gegend noch nie erlebt hatten. Da es den osmanischen Behörden an regulären Truppen zur Niederschlagung der Bulgaren mangelte, setzten sie die Baschi-Basuks ein, überwiegend aus der örtlichen muslimischen Bevölkerung rekrutierte Freischärler, die ihre christlichen Nachbarn brutal unterdrückten und rund 12 000 Menschen niedermetzelten. In dem Gebirgsdorf Batak, wo sich tausend Christen in eine Kirche geflüchtet hatten, steckten die Baschi-Basuks das Gebäude an. Nur eine einzige alte Frau überlebte und konnte die Geschehnisse beschreiben. 48
Berichte von den Gräueltaten an den Bulgaren gingen um die ganze Welt. Die britische Presse behauptete, »Zehntausende « schutzloser christlicher Dorfbewohner seien von »fanatischen Muslimen « abgeschlachtet worden. Die britische Einstellung zur Türkei änderte sich dramatisch. Die alte Politik, die Tanzimat-Reformen in dem Glauben zu fördern, dass die Türken willige Schüler des englischen liberalen Regierungswesens seien, wurde durch die bulgarischen Massaker ernsthaft in Frage gestellt und für viele Christen vollkommen unglaubwürdig. Gladstone, der Führer der liberalen Opposition, dessen Einstellung zur Außenpolitik eng mit den moralischen Prinzipien der anglikanischen Hochkirche verbunden war, setzte sich an die Spitze einer allgemeinen Kampagne, die ein britisches Einschreiten zum Schutz der Balkanchristen vor türkischer Gewalt forderte. Gladstone hatte den Krimkrieg nur halbherzig unterstützt. Er lehnte die Anwesenheit von Türken in Europa aus religiösen Gründen ab und hatte seit langem den britischen Einfluss geltend machen wollen, um den Christen im Osmanischen Reich mehr Autonomie zu verschaffen. Im Jahr 1856 hatte er sogar die Gründung eines neuen griechischen Reiches auf dem Balkan vorgeschlagen, das dem Schutz der Christen nicht nur vor den Muslimen der Türkei, sondern auch vor den Russen und dem Papst dienen sollte. 49
Die heftigste Reaktion auf die Verbrechen an den Bulgaren war in Russland zu beobachten. Das Mitgefühl mit den Bulgaren erfasste die gesamte gebildete Gesellschaft und ließ patriotische Gefühle aufwallen, die durch den nationalen Wunsch nach Rache an den Türken wegen des Krimkriegs noch zusätzlich verstärkt wurden. Von überall waren Rufe nach einer Intervention zum Schutz der Bulgaren zu hören: von Slawophilen wie Dostojewski, für die sich die historische Bestimmung Russlands zur Vereinigung der Rechtgläubigen in einem Krieg erfüllen konnte, durch den die Balkanslawen befreit werden würden; und von Westlern wie Turgenjew, die es für die Pflicht der liberalen Welt hielten, das versklavte Bulgarien zu befreien. Hier bot sich den Panslawisten eine einmalige Gelegenheit, ihre Träume zu verwirklichen.
Offiziell verurteilte die russische Regierung die christlichen Revolten auf dem Balkan. Sie befand sich in der Defensive, da die westlichen Regierungen sie bezichtigt hatten, die Aufstände angezettelt zu haben. Die Panslawisten aber – insbesondere die Zeitschrift Russki mir (Russische Welt), im Besitz und auch herausgegeben von Tschernjajew, dem früheren Militärgouverneur Turkestans – sprachen sich offen für die Sache der Balkanchristen aus und verlangten von der Regierung, sie ebenfalls zu unterstützen. »Sag nur ein einziges Wort, Russland « , prophezeite Russki mir , »und nicht nur der ganze Balkan … , sondern alle slawischen Völker … werden die Waffen gegen ihre Unterdrücker
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