Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Hinsicht säte der Kongress die Samen für die künftigen Balkankriege und den Ersten Weltkrieg, da er zahlreiche Grenzstreitigkeiten ungelöst ließ. Vor allem blieb das Grundproblem der Orientalischen Frage bestehen: Der »kranke Mann Europas « , also die Türkei, war nicht geheilt worden. So musste der Marquess von Salisbury, der britische Außenminister, bei seiner Rückkehr aus Berlin zugeben: »Wir werden erneut eine gebrechliche türkische Herrschaft südlich des Balkans errichten. Aber es ist bloß eine Atempause. Der Sache fehlt jegliche Lebenskraft .« 52
* * *
In Jerusalem, wo all diese internationalen Konflikte ihren Ausgang genommen hatten, wurde das Ende des Krimkriegs am 14. April 1856 bekannt gegeben. Ein Salut aus den Kanonen der Zitadelle machte deutlich, dass der Pascha über den Frieden unterrichtet worden war, und seine Soldaten versammelten sich auf dem öffentlichen Platz vor dem Jaffa-Tor zu Dankgebeten unter Leitung des Imams. Es war derselbe Platz, auf dem man sie im September 1853 hatte antreten lassen, bevor sie für den Sultan gegen Russland kämpften. 53 Der Kreis der Geschichte hatte sich in Jerusalem geschlossen.
Zwölf Tage später, am 26. April, begannen die alten religiösen Rivalitäten von neuem. Während der Zeremonie des heiligen Feuers in der Grabeskirche brachen Kämpfe zwischen den Griechen und den Armeniern aus. Schon mehrere Tage vor der Zeremonie hatten einander feindliche Pilgergruppen allerlei Waffen in die Kirche geschmuggelt und dort versteckt. Andere gelangten in den Besitz von Messern und Eisennägeln, die ihnen von einem Fenster unterhalb des Daches des Klosters des heiligen Nikolaus zugeworfen wurden. Es sei nicht klar, wie die Kämpfe begonnen hätten, berichtete der britische Konsul Finn, der den Zusammenstoß miterlebt hatte, drei Tage später, doch »während des Konflikts wurden die Geschosse auch zu den Galerien hinaufgeschleudert, wobei sie reihenweise Lampen zerstörten und Kirchenbilder aufschlitzten, welche die heiligsten Themen des Glaubens darstellten. Glas und Öl fielen und strömten den Beteiligten auf die Köpfe, Silberlampen an Silberketten wurden abgeschlagen, und die Materialien sind seither verschwunden .« Der Pascha verließ seinen Platz auf der Galerie und befahl seiner Garde, die Kämpfenden voneinander zu trennen. Er selbst wurde durch einen Schlag an den Kopf schwer verletzt und musste auf den Schultern seiner Männer hinausgetragen werden – die Menge in der Kirche war so dicht zusammengepfercht, dass ein anderer Durchgang nicht in Frage kam – , und sein Sekretär wurde ebenfalls verprügelt. Schließlich trieb eine Schwadron der Soldaten des Paschas die Randalierer zusammen, die Kirchenwärter räumten auf, und die Zeremonie des heiligen Feuers ging wie gewohnt vonstatten: Die Mönche standen Wache vor dem Grab Christi, die Gemeinde sang »Herr, erbarme dich « , bis der Patriarch mit brennenden Kerzen erschien. Dann, unter dem Läuten der Glocken, drängten die Pilger zu ihm, um ihre Fackeln an den wundersamen Flammen anzuzünden. 54
* Die Ankläger behaupteten, Lyde habe vorsätzlich auf den Bettler gefeuert, doch die einzigen Zeugen der Erschießung waren drei Frauen. Aussagen von Frauen wurden aber vor einem türkischen Gericht nicht anerkannt.
** Von dieser Zeit an wurde Nizza zu einem beliebten Urlaubsort für die russische Aristokratie, zu einem »russischen Brighton « laut der britischen Presse, die über das Erscheinen von russischen Handelsschiffen in dem von der Royal Navy dominierten Mittelmeer alarmiert war. Man hörte düstere Warnungen vor einer Intrige zwischen Russland und den katholischen Mächten. Als später Gerüchte kursierten, wonach die Russen weitere Bekohlungsanlagen in anderen Teilen des Mittelmeers einrichten wollten, verlangte Palmerston (der mittlerweile nicht mehr im Amt war) 1858 eine Demonstration der britischen Flottenstärke gegenüber den Sardiniern. Die konservative Regierung von Lord Derby war jedoch weniger beunruhigt, da sie die russische Vereinbarung mit den Sardiniern lediglich für ein Handelsabkommen hielt. Der Vertrag von Villafranca blieb bis 1917 in Kraft.
*** Im Jahr 1857 wurde das Armeelied von dem sozialistischen Exilanten Alexander Herzen in seiner Zeitschrift Der Polarstern veröffentlicht. Die Ballade war in studentischen Revolutionärskreisen der 1860er Jahre gut bekannt und wurde später sogar von Lenin zitiert. In Wirklichkeit konnte man das Lied, das die in der Armee
Weitere Kostenlose Bücher