Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Schwarzen Meer bedrohen, das nun infolge der Entmilitarisierung, die man den Russen durch den Pariser Vertrag aufgezwungen hatte, schutzlos war. Das einzige Gebiet, in dem die Russen sich wenigstens den Anschein geben konnten, ihrerseits die Briten zu bedrohen, war Indien. Die Briten reagierten äußerst empfindlich auf jede Bedrohung ihres indischen Reiches, in erster Linie wegen ihrer schwachen Steuereinnahmen dort, die sie aus politischen Gründen nicht zu erhöhen wagten. Kaum ein russischer Stratege hielt einen Feldzug gegen Indien für realistisch, doch es war eine gute Taktik, die britische Nervosität auszunutzen.
Im Herbst 1857 gab der Zar ein Strategiepapier über Zentralasien bei dem brillanten jungen Militärattaché Nikolai Ignatjew in Auftrag, auf den er aufmerksam geworden war, nachdem dieser Russland in der Frage der strittigen Grenze zur Moldau auf dem Pariser Kongress vertreten hatte. Was die Möglichkeit eines neuerlichen Krieges gegen Großbritannien anging, so erklärte Ignatjew, dass Russland nur in Asien eine Siegeschance habe. Seine Stärke in Zentralasien sei die »beste Friedensgarantie « , weshalb es die indische Krise nutzen solle, um seine Position auf Kosten Großbritanniens in »den Ländern [auszubauen], die Russland von den britischen Besitzungen trennen « . Ignatjew schlug vor, Expeditionen auszusenden, um die »unentdeckte « Steppe Zentralasiens für den russischen Handel und den militärischen Nachrichtendienst erforschen und kartieren zu lassen. Durch die Entwicklung geschäftlicher und diplomatischer Beziehungen zu den Khanaten Kokand, Buchara und Chiwa könne Russland Letztere zu Pufferstaaten gegen die britische Expansionspolitik machen. Der Zar billigte den Plan und entsandte eine Delegation unter Leitung von Ignatjew zu Sondierungsgesprächen nach Chiwa und Buchara. Diese führten im Sommer 1858 zum Abschluss von Wirtschaftsverträgen mit den beiden Khanaten. Offiziell unterstand die Delegation dem Außenministerium, doch inoffiziell arbeitete sie auch für das Kriegsministerium und sammelte topografische, statistische und »allgemeine Militärinformationen « über verschiedene Routen nach Zentralasien. Von Beginn der russischen Initiative an wurde eine offensivere Politik betrieben, wie sie Barjatinskis Anhänger im Kriegsministerium befürworteten: Die Russen richteten Protektorate und Militärstützpunkte in den Khanaten ein, um Turkestan und die zentralasiatische Steppe bis hin zu den Grenzen Afghanistans erobern zu können. 44
Der russische Vorstoß nach Zentralasien wurde von zwei Veteranen des Krimkriegs geleitet. Der eine war Michail Tschernjajew, der 1853 an der Donau gegen die Türken gekämpft und sich durch seinen Mut bei Inkerman und Sewastopol ausgezeichnet hatte, bevor er versetzt worden war, um russische Siedler gegen die Überfälle zentralasiatischer Stämme in den Steppen des südlichen Orenburger Gebiets zu verteidigen. Von 1858 an fiel Tschernjajew seinerseits tief in das Territorium von Turkestan ein, zerstörte kirgisische und andere feindliche Stammessiedlungen und förderte Rebellionen gegen die Khanate Chiwa und Kokand durch Stämme, die bereit waren, Russland die Treue zu schwören. Tschernjajews militärische Initiativen, die das Kriegsministerium stillschweigend unterstützte, jedoch nicht offiziell guthieß, führten im Grunde zur Annexion Turkestans durch die Russen. Im Jahr 1864 durchquerte Tschernjajew mit 1000 Mann die Steppen Turkestans, um die Festung Tschimkent zu besetzen. Nachdem sich ihnen eine zweite russische Kolonne aus Semipalatinsk angeschlossen hatte, eroberten sie das 130 Kilometer südlich gelegene Taschkent und dehnten die russische Herrschaft damit faktisch auf diese bedeutende Machtbasis des zentralasiatischen Baumwollhandels aus. Tschernjajew wurde 1865 mit dem Georgskreuz ausgezeichnet und zum Militärgouverneur von Turkestan ernannt. Nach wütenden diplomatischen Protesten der Briten, die fürchteten, dass die russischen Truppen ihren Vormarsch von Taschkent aus nach Indien fortsetzen könnten, wies die russische Regierung die Verantwortung für die von Tschernjajew durchgeführte Invasion von sich, und der General wurde 1866 zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Inoffiziell jedoch betrachtete man ihn in Russland als Helden. Die nationalistische Presse bezeichnete ihn als den »Jermak des 19. Jahrhunderts « . *******
Unterdessen führte General Kaufman, ein zweiter Veteran des Krimkriegs, die Eroberung der
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