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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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nahenden Sozialismus entgegentönen, und dieses Wort wird vielleicht die europäische Menschheit wieder retten. Das ist die Bestimmung des Ostens, und darin liegt für Rußland die Orientfrage. 51
    Alarmiert über den Vormarsch der russischen Truppen nach Adrianopel, befahlen die Briten ihrer Mittelmeerflotte, in die Dardanellen zu fahren, und das Parlament ließ 6 Millionen Pfund für militärische Zwecke bereitstellen. Auch hier wiederholten sich die Aktionen, die zum Krimkrieg geführt hatten. Unter britischem Druck stimmten die Russen einem Waffenstillstand mit den Osmanen zu, rückten jedoch weiter nach Konstantinopel vor. Erst als sie von der Royal Navy bedroht wurden, machten sie halt in San Stefano, einem Dorf knapp außerhalb der türkischen Hauptstadt, und unterzeichneten dort am 3. März einen Vertrag mit den Türken. In diesem Vertrag erklärte sich die Hohe Pforte bereit, die volle Unabhängigkeit von Rumänien, Serbien und Montenegro sowie die Autonomie eines großen bulgarischen Staates (der Makedonien und einen Teil von Thrakien einschloss) anzuerkennen. Im Austausch für einen schmalen Landstreifen südlich der Donau trat Rumänien den Russen das südliche Bessarabien wieder ab, das sie durch den Vertrag von Paris verloren hatten. Nach der Wiederherstellung seines Status am Schwarzen Meer sieben Jahre zuvor hatte Russland nun alle durch den Krimkrieg erlittenen Einbußen wettgemacht.
    Der Vertrag von San Stefano war in erster Linie Ignatjews Werk. Mit ihm erfüllten sich die meisten seiner panslawistischen Träume, doch er war völlig unzumutbar für die Westmächte, die 1854 nicht gegen die Schikanierung der Türken durch die Russen in den Krieg gezogen waren, nur um diesen das Gleiche 24 Jahre später zu gestatten. In Großbritannien kamen die alten Kriegsgefühle gegenüber Russland im »Jingoismus « zum Ausdruck, einer neuen, aggressiven Variante der Außenpolitik. Dieser Hurra-Patriotismus ließ sich am besten durch den damals in Pubs und Varietés gängigen Schlager beschreiben:
    Wir wollen nicht kämpfen,
    Aber bei Jingo, wenn doch,
    Haben wir die Schiffe dazu,
    Haben wir die Männer
    Und haben wir das Geld.
    Es ist nicht unser erster Kampf
    Gegen den Bären, und solange
    Wir wahre Briten sind, bekommen
    Die Russen Konstantinopel nicht.
    Aus Sorge vor einer britischen Intervention und einer möglichen Neuauflage des Krimkriegs befahl der Zar dem Großfürsten, seine Soldaten zur Donau zurückzuziehen. Auf dem Marsch dorthin nahmen sie – zusammen mit christlichen Freiwilligen und manchmal von ihnen aufgewiegelt – teil an Racheaktionen an den Muslimen Bulgariens. Am Ende des russisch-türkischen Krieges flohen mehrere Hunderttausend Muslime aus Bulgarien ins Osmanische Reich.
    Entschlossen, die Ausweitung des russischen Einflusses auf dem Balkan zu verhindern, kamen die Großmächte auf dem Berliner Kongress zusammen, um den Vertrag von San Stefano zu revidieren. Der Haupteinwand der Briten und Franzosen richtete sich gegen die Gründung eines Groß-Bulgarien, das sie als Trojanisches Pferd der Russen zur Bedrohung des Osmanischen Reiches in Europa ansahen. Da dieser vergrößerte bulgarische Staat in Makedonien Zugang zum Ägäischen Meer hatte, konnten die Russen ihn mühelos dazu benutzen, die türkischen Meerengen anzugreifen. Die Briten zwangen deshalb Russland, der Aufteilung Bulgariens und der Rückkehr Makedoniens und Thrakiens unter direkte osmanische Kontrolle zuzustimmen. Eine Woche vor dem Berliner Kongress hatte Benjamin Disraeli, der britische Premierminister, ein Geheimbündnis mit den Osmanen gegen Russland geschlossen, wonach Großbritannien gestattet wurde, die strategisch wichtige Insel Zypern zu besetzen und dazu Truppenverbände aus Indien herbeizuholen. Die Offenbarung dieses Bündnisses sowie Disraelis Kriegsdrohungen ließen den Russen keine andere Wahl, als ihm in allen Punkten nachzugeben.
    Der Berliner Kongress bereitete den panslawistischen Hoffnungen Russlands ein Ende. Ignatjew musste seinen Abschied als Gesandter des Zaren in Konstantinopel nehmen und trat in den Ruhestand. Disraeli, dem in London ein Heldenempfang bereitet wurde, behauptete, einen »ehrenhaften Frieden « aus Berlin zurückgebracht zu haben. Dem Unterhaus erklärte er, dass der Vertrag von Berlin und das Abkommen über Zypern Großbritannien und seine Route nach Indien für viele Jahre vor russischer Aggression schützen würden. Aber die Spannungen auf dem Balkan legten sich nicht. In vieler

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