Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Bells mächtiges Ensemble – drei bronzene Gardisten (Coldstream, Fusilier und Grenadier), gegossen aus erbeuteten russischen Kanonen und Wache stehend unterhalb der klassischen Figur der Ehre – wurde 1861 in London auf dem Waterloo Place an der Kreuzung Lower Regent Street und Pall Mall enthüllt. Was den künstlerischen Wert des Monuments betraf, waren die Meinungen geteilt. Die Londoner bezeichneten die Statue der Ehre als »Wurfringspielerin « , da die Eichenlaubkränze in ihren ausgestreckten Händen Wurfringen ähnelten. Viele meinten, dem Denkmal fehlten die Anmut und Schönheit, die eine so bedeutende Stätte erfordere (Graf Gleichen sagte später, es sehe am besten im Nebel aus). Gleichwohl war seine symbolische Wirkung beispiellos, denn es handelte sich um das erste Kriegerdenkmal Großbritanniens, das gewöhnliche Soldaten in den Status von Helden erhob. 3
Der Krimkrieg sorgte für einen entscheidenden Wandel der Einstellung Großbritanniens zu seiner Armee. Er schuf die Grundlage des modernen Nationalmythos, wonach der Soldat die Ehre, das Recht und die Freiheit der Nation verteidige. Vor dem Krieg war der Begriff der Soldatenehre von der Aristokratie definiert worden. Tapferkeit und Mut waren hochgeborenen Kriegsführern wie dem Herzog von York beschieden, dem Sohn Georgs III . und Befehlshaber der britischen Armee gegen Napoleon, dessen Säule man 1833, fünf Jahre nach dem Tod des Herzogs, aufgestellt hatte; sie war dadurch finanziert worden, dass man jedem Angehörigen der Armee einen Tagessold abzog. Militärgemälde zeigten die Heldentaten verwegener adliger Offiziere, während der gemeine Soldat ignoriert wurde. Die Tatsache, dass man das Guards Memorial direkt gegenüber der Säule für den Herzog von York errichtete, stand gleichsam für einen Paradigmenwechsel der viktorianischen Werte. Es stellte die Führungsrolle des Adels in Frage, der wegen der militärischen Fehler auf der Krim derart diskreditiert worden war. Der britische Militärheld, zuvor ein »mit Federn und Tressen versehener « Gentleman, war nun der einfache Soldat, der »Private Smith « oder »Tommy « (»Tommy Atkins « ), der wacker kämpfte und die Kriege Großbritanniens trotz der groben Fehler seiner Generale gewann. Dies war eine Einschätzung, welche die britische Geschichte vom Krimkrieg bis zum Ersten und Zweiten Weltkrieg (und den Konflikten der jüngeren Vergangenheit) durchzog. So schrieb Private Smith vom Black Watch Regiment 1899, nach einer Niederlage der britischen Armee im Burenkrieg:
Welch ein Tag für unser Regiment,
Nun fürchtet euch vor unsrer Rache.
Teuer bezahlten wir für den Fehler,
Eines Salongenerals krumme Sache.
Warum erfuhr’n wir nichts von den Gräben?
Warum erfuhr’n wir nichts von den Drähten?
Warum marschierten wir in Kolonnen?
Eine Antwort für Tommy Atkins ist erbeten … 4
Wie der amerikanische Schriftsteller Nathaniel Hawthorne in seinen English Notebooks feststellte, hatte das Jahr 1854 »die Arbeit von fünfzig gewöhnlichen Jahren geleistet « , was die Schwächung des Adels anging. 5
Die mangelhafte Kriegsführung weckte auch ein neues Selbstbewusstsein in der Mittelschicht, die sich nicht auf das Privileg der Geburt berief, sondern auf die Prinzipien der beruflichen Kompetenz, des Fleißes, der Meritokratie und der Eigenständigkeit. Der Krimkrieg hatte zahlreiche Beispiele dafür geliefert, dass professionelle Initiativen zur Rettung des schlecht geführten Militärfeldzugs beitrugen: die Krankenpflege von Florence Nightingale, die Kochkunst von Alexis Soyer, Samuel Petos Bau der Balaklawa-Eisenbahn oder Joseph Paxtons Arbeiter, welche die Holzhütten errichteten, in denen die britischen Soldaten vor einem zweiten Winter auf den Anhöhen von Sewastopol geschützt werden sollten. Dank der Presse, an die sich die Mittelschicht mit praktischem Rat und Meinungsäußerungen wandte, nahm Letztere gleichsam aktiv an der täglichen Kriegführung teil. In politischer Hinsicht war sie der eigentliche Gewinner, denn am Ende kamen professionelle Prinzipien im Krieg zum Tragen. Ihr Triumph ließ sich daran ablesen, dass in den folgenden Jahrzehnten Whig-, konservative und liberale Regierungen gleichermaßen Reformen verabschiedeten, die Ideale der Mittelschicht vertraten: die Ausweitung des Wahlrechts auf Freiberufler und Handwerker, Pressefreiheit, größere Offenheit und Rechenschaftspflicht der Regierung, Meritokratie, religiöse Toleranz, öffentliche Bildung und eine
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