Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Russland nicht die Initiative in Griechenland gewann, unterstützten sie die Unabhängigkeit des neuen griechischen Staates, im Unterschied zu bloßer Autonomie unter türkischer Souveränität (wodurch er ihrer Meinung nach von Russland abhängig sein würde). Die britischen Befürchtungen waren nicht ungerechtfertigt. Ermutigt durch die russische Intervention, hatte Kapodistrias den Zaren aufgefordert, die Türken aus Europa zu vertreiben und ein größeres Griechenland, eine Balkan-Konföderation unter russischem Schutz, nach dem einst von Katharina der Großen vorgeschlagenen Modell zu schaffen. Die Position des Zaren wurde jedoch 1831 durch die Ermordung von Kapodistrias erheblich geschwächt, gefolgt von dem Verfall seiner prorussischen Partei und dem Aufstieg neuer griechischer liberaler Parteien, die sich nach Westen orientierten. Dies minderte die russischen Erwartungen und ermöglichte eine internationale Regelung auf der Londoner Konferenz von 1832: Der moderne griechische Staat wurde unter der Garantie der Großmächte und mit einem den Briten genehmen ersten König, dem jungen Otto von Bayern, gegründet.
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Die Politik der »Schwächung des Nachbarn« beherrschte die Haltung Russlands zur Orientalischen Frage in den Jahren zwischen 1829 und dem Krimkrieg. Sie wurde nicht von allen geteilt: Manche Vertreter der Armee und des Außenministeriums befürworteten eine aggressivere, expansionistische Politik auf dem Balkan und im Kaukasus. Andererseits war die Strategie flexibel genug, um sowohl die Ambitionen der russischen Nationalisten zu befriedigen als auch die Sorgen derjenigen zu lindern, die einen europäischen Krieg vermeiden wollten. Kennzeichnend für die auf »Schwächung des Nachbarn« abzielende Politik war der Einsatz der Religion – unterstützt durch eine anhaltende militärische Bedrohung – , mit deren Hilfe man den russischen Einfluss innerhalb der christlichen Gebiete des Sultans erhöhen wollte.
Zur Durchführung des Vertrags von Adrianopel besetzten die Russen die Moldau und die Walachei. In den fünf Jahren der Okkupation, von 1829 bis 1834, führten sie eine Verfassung ( règlement organique ) ein und reformierten die Verwaltung der Fürstentümer nach vergleichsweise liberalen Prinzipien (viel liberaler als alles, was damals in Russland zugelassen war), um die letzten Reste der osmanischen Kontrolle zu untergraben. Die Russen versuchten, Bauern durch wirtschaftliche Zugeständnisse zu entlasten und so ihre Sympathie zu gewinnen; sie brachten die Kirchen unter ihren eigenen Einfluss, warben Ortsmilizen an und verbesserten die Infrastruktur der Region, damit sie als Militärstützpunkt für künftige Maßnahmen gegen die Türkei dienen konnte. Eine Zeitlang dachten sie sogar daran, die Besetzung zu einer permanenten Annexion zu machen, bevor sie sich 1834 dann doch zurückzogen. Allerdings hinterließen sie eine nicht unbedeutende Zahl von Soldaten, welche die Militärstraßen beaufsichtigten und die nun regierenden einheimischen Fürsten daran erinnerten, dass sie gänzlich von St. Petersburg abhängig waren. Die von den Russen eingesetzten Fürsten (Michael Sturdza in der Moldau und Alexander Ghica in der Walachei) waren wegen ihrer Beziehungen zum Zarenhof ausgewählt worden. Sie standen unter aufmerksamer Beobachtung durch die russischen Konsulate, die sich im Interesse Russlands häufig in die Bojarenversammlungen und in die fürstliche Politik einmischten. Laut Lord Ponsonby, dem britischen Botschafter in Konstantinopel, waren Sturdza und Ghica »als Hospodaren verkleidete russische Untertanen«. Sie seien »lediglich nominelle Gouverneure … und führen nur solche Maßnahmen aus, die ihnen von der russischen Regierung auferlegt werden«. 23
Der Wunsch, das Osmanische Reich in einem Zustand der Schwäche und Abhängigkeit zu halten, erforderte mitunter Eingriffe zugunsten der Türken, zum Beispiel 1833, als Mehmet Ali die Macht des Sultans auf die Probe stellte. Nachdem er diesem im Kampf gegen die griechischen Rebellen geholfen hatte, forderte er den Erbtitel für Ägypten und Syrien. Als der Sultan ablehnte, marschierte Mehmet Alis Sohn Ibrahim Pascha mit seinen Soldaten in Palästina, im Libanon und in Syrien ein. Seine starke Armee, die von den Franzosen ausgebildet und nach europäischen Prinzipien organisiert worden war, überwand die osmanischen Truppen ohne große Mühe. Konstantinopel war der Gnade der Ägypter ausgeliefert. Mehmet Ali hatte die ägyptische
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