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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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und Konstantinopel im Handstreich zu erobern, bevor irgendeine westliche Flotte eingreifen konnte (die Schwarzmeerflotte in Sewastopol war nur vier Tage von der türkischen Hauptstadt entfernt). In Wirklichkeit war der Wortlaut der Geheimklausel in diesem Punkt unklar. Die Russen behaupteten, sie hätten sich nur gegen einen möglichen Angriff durch Frankreich oder Großbritannien absichern wollen, die bedeutendsten Flottenmächte im Mittelmeer, deren Schiffe sonst durch die Meerengen segeln und die russischen Stützpunkte in Sewastopol und Odessa zerstören könnten, bevor man in St. Petersburg von ihrem Auftauchen im Schwarzen Meer erfahren hätte. Die Meerengen seien »die Schlüssel zum Haus Russlands«. Wenn die Russen sie nicht schließen könnten, seien sie an ihrer schwächsten Grenze verwundbar – der Schwarzmeerküste und dem Kaukasus – , was sich bestätigte, als die Türkei und die Westmächte dort während des Krimkriegs angriffen.
    * * *
    Solche Argumente wurden im Westen abgetan, wo Russlands gute Absichten in informierten Kreisen auf immer größeres Misstrauen stießen. Nun interpretierte man nahezu jede russische Aktion auf dem Kontinent als Teil eines reaktionären und aggressiven Plans zur Erweiterung des Reiches. »Es kann keinen berechtigten Zweifel daran geben, dass die russische Regierung konzentriert an jenen Projekten zur Expansion nach Süden arbeitet, die seit Katharinas Herrschaft einen herausragenden Aspekt der russischen Politik bilden«, schrieb Palmerston im Dezember 1833 an Lord John Ponsonby, den britischen Botschafter in Konstantinopel.
    Das Kabinett von St. Petersburg ergeht sich, wann immer auf seine Außenpolitik hingewiesen wird, zumeist in uneingeschränkten Erklärungen der Unvoreingenommenheit. Es bringt vor, dass es, zufrieden mit den umfassenden Grenzen des Reiches, keine Vergrößerung des Territoriums begehre und sämtliche Erweiterungspläne, die Russland zugeschrieben würden, aufgegeben habe …
    Aber ungeachtet dieser Erklärungen ist festzustellen, dass sich die Eingriffe Russlands an allen Seiten stetig und mit klarem Ziel fortgesetzt haben und dass fast jede Unternehmung von einiger Wichtigkeit, in die Russland in den letzten Jahren verwickelt war, auf diese oder jene Art einer Änderung entweder seines Einflusses oder seines Territoriums dienlich gewesen ist.
    Die jüngsten Ereignisse in der Levante haben ihm durch eine unglückliche Verkettung von Umständen ermöglicht, enorme Fortschritte zur Verwirklichung seiner Absichten gegenüber der Türkei zu machen, und es wird zum Gegenstand von erheblicher Bedeutung für die Interessen Großbritanniens, ins Auge zu fassen, wie Russland daran gehindert werden kann, seinen Vorteil auszubauen, und herauszufinden, ob es möglich ist, ihm den bereits errungenen Vorteil zu entziehen.
    Der französische Staatsmann François Guizot verkündete, das Schwarze Meer sei durch den Vertrag von 1833 zu einem von der Türkei bewachten »russischen See« geworden, zum »Vasallenstaat des Zaren, so dass nichts Russland davon abhält, die Meerengen zu durchqueren und seine Schiffe und Soldaten ins Mittelmeer zu befördern«. Der Geschäftsträger in St. Petersburg warnte die russische Regierung in einer Protestnote, falls Russland durch den Vertrag verleitet werden sollte, in »die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches« einzugreifen, so werde sich die französische Regierung »die uneingeschränkte Freiheit nehmen, eine den Umständen entsprechende Verhaltensweise zu wählen«. Palmerston bevollmächtigte Ponsonby, die britische Flotte aus dem Mittelmeer zur Verteidigung von Konstantinopel herbeizurufen, wenn er meinte, die Stadt werde durch Russland bedroht. 27
    Die Geschehnisse von 1833 waren ein Wendepunkt in der britischen Politik gegenüber Russland und der Türkei. Bis dahin war es das britische Hauptanliegen im Hinblick auf das Osmanische Reich gewesen, den Status quo zu bewahren, vor allem weil man in London fürchtete, dass sein Zerfall das Kräftegleichgewicht in Europa beeinträchtigen und womöglich zu einem europäischen Krieg führen könne, und nicht etwa, weil man sich energisch für die Souveränität des Sultans einsetzte (die britische Unterstützung Griechenlands hatte kaum ein Anzeichen dafür erkennen lassen). Aber sobald die Briten die Gefahr erkannten, dass das Osmanische Reich von den Ägyptern an der Spitze einer mächtigen muslimischen Wiedererweckungsbewegung übernommen oder, schlimmer noch,

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