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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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des Zaren klagte, Schamils Herrschaft habe einen »religiös-militärischen Charakter« angenommen, »den gleichen wie Mohammeds Schwert zu Beginn des Islams, als es drei Viertel des Universums erschütterte«. 34
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    Es war jedoch die Türkei, welche die Briten zu ihrem eigentlichen Pufferstaat gegen Russland machen wollten. Sie brauchten nicht lange, um zu begreifen, dass sie eine einmalige Gelegenheit verpasst hatten, sich ihre Position als dominierende ausländische Macht im Osmanischen Reich zu sichern, als sie den Hilferuf des Sultans gegen den ägyptischen Einmarsch ignorierten. Palmerston bezeichnete dies als »größte Fehleinschätzung auf dem Gebiet der ausländischen Angelegenheiten, die einem britischen Kabinett je unterlaufen ist«. Nun verdoppelten die Briten ihre Bemühungen, Einfluss auf die Hohe Pforte auszuüben und eine Reihe von Reformen durchzusetzen. Diese sollten die Probleme der christlichen Bevölkerung lösen, die den Russen Anlass geboten hatten, zu ihrem Schutz einzugreifen.
    Die Briten waren überzeugt vom Wert politischer Reformen und glaubten, ihre liberalen Prinzipien mit Hilfe ihrer Kanonenboote über den ganzen Globus hinweg exportieren zu können. Ihrer Meinung nach war die Orientalische Frage, die im Verfall der Türkei wurzelte, nur durch die Reform des Osmanischen Reiches zu lösen: Man heile den »kranken Mann«, und das Problem des Orients würde sich auflösen. Doch für die Briten diente die Verbreitung liberaler Ideen nicht nur dem Zweck, die Unabhängigkeit des Osmanischen Reiches gegenüber Russland zu sichern. Sie wollten zugleich den britischen Einfluss auf die Türkei vertiefen: Die Türken sollten auf ihren politischen Rat und ihre Kredite sowie auf ihren militärischen Schutz angewiesen sein; man wollte die Türken unter britischer Anleitung »zivilisieren«, indem man ihnen die Tugenden liberaler Prinzipien, religiöser Toleranz und administrativer Methoden beibrachte (allerdings scheute man vor Parlamenten und Verfassungen zurück, für die den Türken angeblich die notwendigen »europäischen« Eigenschaften fehlten); die britischen Freihandelsinteressen sollten gefördert werden (was großartig geklungen haben mag, doch durchaus schädlich für das Osmanische Reich war), und schließlich sollte die Route nach Indien (wo die britische Freihandelspolitik natürlich nicht ausgeübt wurde) gesichert werden.
    In ihrer reformistischen Mission sahen sich die Briten ermutigt durch die Anzeichen von Verwestlichung, die sie während der letzten Jahre von Mahmuds Herrschaft in der türkischen Kultur bemerkt hatten. Obwohl die Militärreformen des Sultans nur begrenzte Erfolge gezeitigt hatten, waren in der türkischen Hauptstadt Änderungen der Bekleidung und der Bräuche der osmanischen Elite zu beobachten: Waffenrock und Fez hatten Roben und Turbane ersetzt, Bärte waren abrasiert worden, und Frauen wurden in die Gesellschaft einbezogen. Dieser oberflächliche Wandel spiegelte sich im Aufstieg eines neuen Typs von türkischem Amtsträger wider: des europäischen Türken, der sich Fremdsprachen, westliche Bräuche, Manieren und Laster angeeignet hatte, während er sonst in der traditionellen Kultur des Islams verhaftet blieb.
    Westliche Reisende waren beeindruckt von den Ausdrucksformen des Fortschritts, die sie im türkischen Verhalten wahrnahmen, und durch ihre Schriften wandelte sich die britische Haltung. Die meistgekaufte und einflussreichste dieser Veröffentlichungen war zweifellos Julia Pardoes The City of the Sultan; and Domestic Manners of the Turks in 1836 , wovon zwischen 1837 und dem Beginn des Krimkriegs über 30000 Exemplare in vier Auflagen abgesetzt wurden. Pardoe machte sich daran, die vermeintlichen Vorurteile früherer Reisender ins Osmanische Reich zu korrigieren. Auf den ersten Blick scheine die Türkei sämtlichen europäischen Stereotypen zu entsprechen – exotisch, träge, sinnlich, abergläubisch, aufklärungsfeindlich und von religiösem Fanatismus erfüllt – , doch bei näherer Betrachtung besitze sie »edle Eigenschaften«, die sie zu einem fruchtbaren Boden für liberale Reformen machen würden. »Wer, der den moralischen Zustand der Türkei unvoreingenommen betrachtet, kann das Fehlen von Schwerverbrechen, die zufriedenen und sogar stolzen Gefühle der niederen Ränge sowie die Abwesenheit jeglicher Anmaßung und Arroganz unter den höheren Rängen übersehen?« Das einzige Hindernis für die »Zivilisierung der Türkei« war laut

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