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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Pfad zu bieten. Wenn der Indus überquert ist, was soll dann dem Flug des russischen Adlers ins Herz von Britisch-Indien widerstehen? Dorthin sind die Augen Russlands gerichtet. Möge England auf der Hut sein. 32
    Um der vermeintlichen russischen Gefahr entgegenzuwirken, versuchten die Briten, Pufferstaaten in Kleinasien und im Kaukasus zu schaffen. Offiziell beabsichtigten sie, den kurz zuvor abgesetzten Emir Schah Schuja wieder auf den afghanischen Thron zu bringen, doch nachdem sie dieses Ziel 1839 erreicht hatten, setzten sie ihre Okkupation fort, um seine Marionettenregierung zu stützen – letzten Endes, um das Land der britischen Herrschaft zu unterstellen – , bis sie 1842 durch Stammesaufstände und katastrophale militärische Niederlagen zum Rückzug gezwungen wurden. Außerdem verstärkten die Briten ihre diplomatischen Aktivitäten in Teheran, wo sie versuchten, die Perser durch ein Verteidigungsbündnis und das Versprechen, ihnen Militärhilfe zu leisten, von den Russen zu trennen. Unter britischem Druck gaben die Perser Herat auf und unterzeichneten 1841 einen neuen Handelsvertrag mit der Londoner Regierung. Die Briten erwogen sogar, Bagdad zu besetzen, da sie glaubten, dass die Araber dies als Befreiung von den Türken begrüßen würden; zumindest werde jeglicher Widerstand durch die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten abgeschwächt werden, die man laut Henry Rawlinson, dem britischen Generalkonsul in Bagdad, »jederzeit gegeneinander ausspielen konnte«. Rawlinson, ein Offizier der Ostindiengesellschaft und ein ausgewiesener Orientalist, der die antiken persischen Keilschriftzeichen von Behistun als Erster entzifferte, war eine der wichtigsten Gestalten, die aktive britische Maßnahmen zur Einschränkung der russischen Expansion nach Zentralasien, Persien und Afghanistan forderten. Seiner Meinung nach sollte Großbritannien ein mesopotamisches Reich unter europäischer Protektion gründen, das als Puffer gegen das Vorrücken der Russen im Kaukasus dienen und eine russische Eroberung des Tigris- und des Euphrat-Tals auf der Route nach Indien verhindern sollte. Er sprach sich sogar dafür aus, die Russen durch die indische Armee in Georgien, Jerewan und Nachitschewan angreifen zu lassen – in Gebieten, welche die Briten, anders als die Türken im Vertrag von Adrianopel, nie als russische Besitztümer anerkannt hatten. 33
    Rawlinson wirkte auch maßgeblich daran mit, britische Hilfsgüter an die muslimischen Kaukasusstämme weiterzuleiten, deren Krieg gegen die Russen nach 1834 durch die charismatische Führerschaft des Imams Schamil neuen Schwung gewann. Schamils Anhänger hielten ihn für unbesiegbar, für einen von Gott entsandten Kriegsherrn. Sie erzählten sich Geschichten über seinen legendären Mut, seine berühmten Siege über die Russen und seine wiederholte wundersame Flucht vor Gefangennahme und Niederlage. Dieser Führer verlieh den muslimischen Stämmen neues Selbstvertrauen und vereinigte sie mit seinem Aufruf zu einem Dschihad gegen die russische Besatzung ihrer Länder. Die Stärke von Schamils Streitmacht beruhte auf seinen engen Beziehungen zu den Bergdörfern; sie ermöglichten Guerilla-Aktionen, welche die Russen verwirrten. Mit Hilfe der Ortsbevölkerung wurde Schamils Armee allgegenwärtig und praktisch unsichtbar. Dorfbewohner konnten von einem Moment zum anderen Soldaten und Soldaten Dorfbewohner werden. Die Stammesmitglieder waren die Augen und Ohren der Armee – sie dienten als Kundschafter und Spione – , wodurch die Russen überall aus dem Hinterhalt überfallen werden konnten. Schamils Kämpfer führten die Soldaten des Zaren an der Nase herum: Urplötzlich griffen sie ungeschützte russische Einheiten, Festungen und Nachschublinien an, bevor sie in den Bergen verschwanden oder sich unter die Dorfbewohner mischten. Nur selten ließen sie sich auf offene Gefechte mit den Russen ein, weil sie dabei das Risiko eingingen, durch zahlenmäßig überlegene Soldaten und Geschütze besiegt zu werden. Es war schwierig, mit einer solchen Taktik fertig zu werden, zumal keiner der russischen Befehlshaber es je mit derartigen Aktionen zu tun gehabt hatte, und sehr lange setzten sie einfach mehr und mehr Soldaten für die fruchtlose Bemühung ein, Schamil in seinem Hauptstützpunkt in Tschetschenien niederzuwerfen. Gegen Ende der dreißiger Jahre war Schamils Kampfweise so effektiv geworden, dass er den Russen genauso unbesiegbar vorkam wie den muslimischen Stämmen. Ein General

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